Gejagte Der Dämmerung -9-
einbrechen, ohne dabei gefangen oder getötet zu werden.
Es klang alles sehr waghalsig und extrem gefährlich.
Sie stellte den Fernseher ab und ließ die Fernbedienung auf dem Bett liegen, dann stand sie auf, um sich den Stadtplan anzusehen, den Hunter auf dem Couchtisch am anderen Ende des Raumes ausgebreitet hatte. Inzwischen brauchte er ihn nicht mehr, sondern benutzte einen elektronischen auf seinem Handy.
Sie studierte die eingekringelten Stellen, wo nach den Informationen des Ordens Vachons Häuser lagen. Auf dem Flug aus Detroit und seit sie mit Hunter im Hotelzimmer festsaß und auf den Abend wartete, hatte sich Corinne den Kopf darüber zerbrochen, wie sie Henry Vachon alleine aufspüren und ihre Bitte vorbringen konnte, ihren Sohn zurückzubekommen.
Wenn sie zuließ, dass Hunter ihn zuerst fand, war Vachon so gut wie tot. Aber wenn es ihr nur irgendwie gelang, dieses Treffen zu unterbrechen und mit Vachon zu verhandeln – ihm das Wenige anzubieten, was sie hatte –, hatte sie vielleicht eine Chance, ihr Kind zu finden. Die Vorstellung, sich schon wieder einem von Dragos’ loyalen Gefolgsmännern ausliefern zu müssen, machte ihr Sorgen. Aber wenn Henry Vachon wirklich in der Nacht ihrer Entführung dabei gewesen war, kannte sie ihn schon von seiner schlimmsten Seite. Sie hatte seine perversen Grausamkeiten schon einmal überlebt; sie würde sich ihm und Dragos wieder stellen, wenn sie so zu ihrem Sohn kam.
Es war ein törichter, verzweifelter Plan, und höchstwahrscheinlich lief er auf glatten Selbstmord hinaus.
Aber sie war verzweifelt. Und sie war bereit, alles zu riskieren, was sie hatte, nur auf die Hoffnung hin, ihren Jungen wiederzusehen.
Sie sah zu Hunter hinüber, der neben der gläsernen Schiebetür zum Balkon stand, sein riesiger Körper bildete eine Silhouette im Mondlicht und dem Schein der Straßenlampen unten auf dem Boulevard. Von draußen drang Musik zu ihnen herauf, die weiche Klage eines Saxophons, jemand spielte den Blues. Jetzt ging auch sie langsam auf die Glastür zu, wie immer magisch angezogen von den tröstlichen Klängen dieser Poesie von Tönen und Harmonien. Sie lauschte eine Weile und beobachtete den alten Mann an der gegenüberliegenden Straßenecke, der sein verbeultes Messinginstrument mit der ganzen Leidenschaft eines jungen Mannes spielte.
»Wann brichst du auf, um Vachon zu suchen?«
Hunter hob den Kopf und sah ihr in die Augen. »Sobald wie möglich. Gideon sucht gerade alle verfügbaren Daten zu Vachons Häusern heraus, alte Baupläne, Schaltpläne von Alarmanlagen, alles, was mir irgendwie helfen kann. Wenn er in der nächsten Stunde was Brauchbares findet, meldet er sich.«
»Und wenn er nichts findet?«
»Dann ziehe ich so los.«
Corinne nickte, nicht überrascht von seiner unumwundenen Antwort. Er wirkte nicht wie einer, der sich von Hindernissen aufhalten ließ, selbst wenn das bedeutete, dass er sich ins feindliche Lager schleichen und sich dabei nur auf seinen Verstand und seine Waffen verlassen musste.
»Denkst du, Vachon wird dir verraten, wo Dragos ist?«
In Hunters Gesicht stand grimmige Zuversicht. »Wenn er es weiß, wird er es mir sagen.«
Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie genau er das bewerkstelligen würde. Auch konnte sie seinen durchdringenden Blick nicht länger als einen Moment ertragen, wenn er so wie jetzt nur einen halben Meter entfernt von ihr stand.
Ihm so nahe zu sein und seine goldenen Augen auf sich zu spüren wie eine Berührung, erinnerte sie nur daran, wie aufgeschreckt sie gewesen war, als er sie diesen Nachmittag im Bad beobachtet hatte. Von wegen aufgeschreckt. Verblüfft war sie gewesen – völlig schockiert von der glühenden Hitze in seinen sonst so unergründlichen Augen. Beim bloßen Gedanken daran durchfuhr es sie heiß, und dieses Mal gab es keine Tür mehr, die sie vor ihm schließen konnte.
Sie hätte sauer sein sollen, dass er sie gesehen hatte, oder ängstlich. Und Hunters Blick beunruhigte sie nach wie vor. Aber nicht aus Angst, die sie doch eigentlich fühlen sollte, sondern aus Spannung. Denn der stoische Krieger hatte sie nicht wie ein Objekt angesehen, das er beschützen oder bemitleiden sollte, sondern er hatte sie als Frau wahrgenommen.
Wenigstens bis er ihre Narben gesehen hatte.
Die äußerlichen Spuren dessen, was sie erlitten hatte, waren hässlich genug, aber die schlimmsten Verletzungen waren innerlich. Es gab immer noch einen wunden und verletzten Teil von ihr, der noch nicht wieder
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