Gekapert
Zimmer umher, ergreift ein Handtuch, dreht den Wasserhahn auf und wäscht sich mit der Ausführlichkeit eines Mannes, der jede Menge Zeit hat, gemächlich Gesicht und Hände. Ungerührt bleibt der Fernsehmann im Zimmer, fummelt in aller Ruhe weiter an den Knöpfen herum und nimmt Ahls Anwesenheit oder seinen Wunsch nach Ungestörtheit nicht zur Kenntnis. Vielleicht flaut der Konflikt in diesem Land erst ab, wenn seine Einbrecher ihre Kunst beherrschen, denkt Ahl. Vielleicht ist die Dummheit der Politiker dieses Landes, seiner sogenannten Intellektuellen, seiner Clanältesten und Imame und führerlosen Jugendlichen ansteckend; jedem hier scheint es am gesunden Menschenverstand zu fehlen.
Sein Handy klingelt. Xalan wartet unten. Unbeholfen hebt Ahl seinen Koffer mit dem kaputten Schloß hoch, macht sich nicht die Mühe, zu überprüfen, ob alle Hemden, Hosen, Unterwäsche und Sandalen eingepackt sind. Er läßt die Tür offen, der Fernsehmann bastelt immer noch am Gerät herum.
Xalan ist eine Augenweide; sie trägt einen Kaftan, der teilweise die Arme frei läßt, hübsche Figur, reizendes Lächeln. Sie geht ihm entgegen, und beide brechen in Lachen aus, als sie bei der Umarmung stolpern. Sie nimmt ihm seinen Laptop ab, er müht sich mit dem Koffer.
Die Rezeption ist nicht besetzt, und sie beschließen, den Koffer in den Kofferraum zu legen und beim Wagen zu warten, in der Hoffnung, daß einer der Rezeptionisten auftauchen und den Hotelmanager wegen Ahls Rechnung informieren wird. Während sie warten, erzählt Ahl Xalan alles, was sich bisher ereignet hat.
»Das ist ja die Höhe«, sagt sie. »Ist er immer noch oben in deinem Zimmer? Ich bin jedenfalls froh, daß du zu uns ziehst.«
Sie lachen.
»Allerdings bin ich auf weitere Auseinandersetzungen mit dem Personal, einschließlich des Managers, überhaupt nicht scharf. Wahrscheinlich wird er mir ohnehin nicht glauben, mein Wort steht gegen das des Fernsehmanns. Und vermutlich werden sich seine Kollegen mit ihm gegen den Ausländer verbünden, auch wenn ich somalisch spreche.«
Schließlich kommt der Manager mit der Rechnung und Xalan studiert eingehend die verschnörkelten Zahlen, runzelt die Stirn; unter anderem muß Ahl die Fernsehreparatur bezahlen, die Benutzung von Bettwäsche und Handtüchern sowie Mahlzeiten, die er nicht bestellt hat. Zusammengerechnet beläuft sich die Abzocke auf eine ordentliche Summe, aber Ahl weiß, daß man nicht mit Erpressern verhandelt und dies der zu erwartende Preis für einen Somalier aus der Dollar-Diaspora ist, der seiner Heimat einen Besuch abstattet. Sollte er die Bezahlung verweigern und den Betrug den Behörden melden, hätte er nur geringe Aussicht auf Erfolg. Später würde man ihn ohnehin mit vorgehaltener Waffe zwingen, die Rechnung zu begleichen, eventuell mit seinem Leben. Wehe dem Mann, der seinem Bodyguard die Bitte nach einem Kredit abschlägt, wehe dem Journalisten, dessen Zeitung die Bezahlung des verlangten Lösegelds verweigert, wenn sich seine Entführung zufällig am Tag der geplanten Heimreise ereignet.
Aber Xalan läßt sich nicht einschüchtern. »Was ist, wenn er nicht zahlt?« fragt sie.
»Das würde ich ihm nicht raten«, sagt der Manager, und sein Tonfall soll einschüchternd klingen.
Es entwickelt sich ein Streitgespräch. Ahl weist darauf hin, daß er das Fehlverhalten des Fernsehmannes bereits einem Einäugigen, der hinter der Rezeption stand, gemeldet habe, worauf der Manager bestreitet, daß im Hotel eine Person arbeitet, auf die diese Beschreibung zutrifft.
»Das ist doch schon mal ein Anfang«, sagt Ahl seufzend.
Der Manager bezichtigt Ahl der Lüge, worauf ein heftiger Wortwechsel zwischen ihm und Xalan folgt. Sie droht mit der Polizei, der Manager erwidert, er habe die Polizei in der Hand, vielmehr würde er sie verhaften lassen, wenn sie nicht bezahlen und verschwinden würden.
Mittlerweile ist die Hitze unerträglich geworden. In Ahl kocht es in mehr als nur einer Hinsicht. Sein Hemd klebt ihm am Rücken, sein Haar ist schweißnaß. Für derartige Situationen hat er nicht die nötige Hartnäckigkeit. Er erinnert sich an einen Vorfall, der ihm zu Ohren kam – bewaffnete Jugendliche, zu schwach, um ihre Beute nach Hause zu tragen, zwangen ihre Opfer, das Diebesgut in ihre eigenen Fahrzeuge zu laden und die Räuber nach Hause zu chauffieren. Er will den Grund für seine Anwesenheit in diesem Land nicht aus den Augen verlieren, und die verlangte Summe ist lächerlich. Er besteht
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