Gekapert
Mittel haben, um es dauerhaft zu unterwerfen. Malik bezweifelt sehr, daß die Al-Schabaab einen Krieg gewinnen – oder, im unerwarteten Fall eines Sieges, an den eroberten Gebieten festhalten könnte.
Mittlerweile hat sich Maliks Niedergeschlagenheit im Fahrzeug ausgebreitet wie eine ansteckende Krankheit, gegen die niemand ein Heilmittel hat. Dajaal fährt weiter wie ferngesteuert. Gumaad versucht, mit einem der »Oberen« in der Unionshierarchie Kontakt aufzunehmen, der sich bei Vollbart für sie einsetzen soll, er wirkt besorgt. Die Leitung ist entweder belegt (was er allen voller Optimismus kundtut) oder es klingelt und klingelt und keiner nimmt ab (er spart sich die Mühe, ihnen das mitzuteilen).
Jeebleh fällt auf, daß auf den Straßen keine jener bewaffneten und drogenumnebelten Jugendlichen oder Clanmilizionäre unterwegs sind, die früher das Leben jener bedrohten, die sich ihren Anordnungen verweigerten. Seit seinem Besuch vor zehn Jahren haben sich die meisten Jugendlichen Bärte wachsen lassen und diese weißen Gewänder angelegt, bis auf den einen oder anderen, der einen Kampfanzug oder eine aus Versatzstücken improvisierte Uniform trägt. Am allgemeinen Verfall hat sich jedoch nichts geändert – eingestürzte Häuser, denen ganze Stockwerke fehlen, was sie wie Legobauten aussehen läßt.
Es ist die große Tragödie von Bürgerkriegen, Hungersnöten und anderen Katastrophen in den ärmeren Regionen der Welt, denkt Jeebleh, daß die Trümmer selten das unter ihnen verborgene Leid preisgeben. Es sind keine Technologien zur Spurensicherung vorhanden, die Toten werden selten identifiziert. Oftmals weiß niemand, wie viele Menschen durch eine Schlammlawine oder einen Tsunami umgekommen sind. Niemand erfährt die letzten Worte, die über ihre Lippen kamen, oder was ihren Tod letztendlich verursacht hat: ein herunterstürzender Deckenbalken, Herzversagen, das scharfe Geschoß einer zersplitterten Fensterscheibe? Oder die schiere Erschöpfung, tagein, tagaus unter grauenvollen Umständen leben zu müssen?
Bedingt durch die neuen Ruinen, die während der letzten Auseinandersetzung zwischen den Warlords und der Union vor drei Monaten entstanden sind, hat Jeebleh keine Ahnung, wo sie sind und wo sich die Wohnung befindet. In einer Stadt, die unter den Grausamkeiten eines Bürgerkrieges gelitten hat, verliert man die Orientierung; selbst unter idealen Umständen benötigt man die Hilfe jener, die weiterhin dort ausharren. In der Hoffnung, Malik mit dem Grundriß der Stadt vertraut zu machen, fragt er: »Wo lebt denn Cambara zur Zeit, von der Wohnung aus gesehen?«
»Die grüne Linie, die früher die Grenze zwischen den Gebieten der beiden Warlords markierte, ist verschwunden«, erklärt Dajaal. »Aber mittlerweile sind noch mehr Straßen unbefahrbar.«
»Wie bewegen sich denn die Leute fort, die kein Auto haben?« fragt Malik Gumaad. »Was taugen die öffentlichen Verkehrsmittel im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern?«
»Ich habe Somalia noch nie verlassen.«
»Wie bewegst du dich denn fort?«
»Es gibt Minibusse, die zehn bis fünfzehn Sitzplätze haben. Man hält sie an, springt rein und zahlt den Fahrpreis.«
»Kann man sie ohne Bedenken nutzen?«
»Ich bin in einem zum Flughafen gefahren«, sagt Gumaad. »Minibus, fünfzehn Sitze. Ich bin in der Nähe meiner Wohnung in Yaqshid eingestiegen, dann hab ich den nächsten von der Makkah-Mukarramah Road zum Flughafen genommen. Auf den mußte ich lange warten, weil der Fahrer an einer strategisch günstigen Stelle gewartet hat, bis genügend Passagiere versammelt waren, damit sich die Fahrt lohnte. Im großen und ganzen herrscht der von der Union verhängte Frieden. Und die Busse sind sicher.«
»Damit der aufgezwungene Frieden hält, braucht es eine Regierung, die die Stadt und ihre eineinhalb Millionen Einwohner mit sozialen Einrichtungen versorgt, Schulen, Krankenhäusern und so weiter«, sagt Dajaal. »Ich bezweifle, daß die Union die Erfahrung, die Bereitschaft und die nötigen Mittel besitzt, uns damit zu versorgen.«
»Mit der Zeit wird sich die Union schon darum kümmern«, sagt Gumaad.
»Bei den ewigen internen Machtkämpfen, der Rivalität zwischen den Clans und der Korruption unter den Top-Kadern ist die Union nicht in der Position, den Frieden zu sichern«, sagt Dajaal.
Gumaad erläutert, daß böses Blut zwischen den verschiedenen Parteien im Land der Grund für die Unruhen und viele Tote sei. Dajaals und Vollbarts
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