Gekapert
Feindschaft reiche beispielsweise in die Zeit zurück, als die zwei Familien Nachbarn und die beiden jung gewesen wären. »Ihr Haß hat seinen Ursprung im Neid«, behauptet er und geht dann ins Detail. »Dajaal erwies sich als der erfolgreichere der beiden, in jeder Hinsicht, wohingegen Vollbarts Unternehmungen für gewöhnlich in einer Katastrophe endeten. Dajaal stieg in der Armee in den Rang eines Majors auf. Er war glücklich verheiratet und mit einem Jungen und einem Mädchen gesegnet, die beide wiederum Kinder bekamen. Vollbart war fünfmal verheiratet, bekam keine Kinder, und bis vor kurzem ging es ihm finanziell nicht gut.«
»Und trotzdem spielt er sich derart auf«, sagt Jeebleh.
»Ein selbstbewußter Mann hat es nicht nötig, sich aufzuspielen«, sagt Dajaal.
»Es ist wohlbekannt«, fährt Gumaad fort, »daß Vollbart in letzter Zeit Bile aufs Korn genommen hat, ihn beschuldigt, mit Cambara in Sünde zu leben, für manche ein Verbrechen, das mit öffentlicher Steinigung bestraft werden sollte.«
Cambara hatte, als sie und Jeebleh in der vergangenen Woche telefonierten, auf einen Fundamentalisten angespielt, der ihr Zusammenleben mit Bile besessen beobachte, aber sie hatte keinen Namen genannt. Jeebleh begreift, daß er auf das Gerede der Somalier in der Diaspora hereingefallen ist, die glauben wollen, dank der Union habe ihr Land die Kurve gekriegt. Es war töricht gewesen, ihnen Vertrauen zu schenken. Er ruft sich in Erinnerung, daß die unehrlichsten Worte, die über die Lippen eines Politikers kommen, jene sind, mit denen er sein Gottvertrauen beteuert.
Dajaal drosselt das Tempo und biegt nach links auf einen Parkplatz ein, an den sich Jeebleh von früher erinnert. Dajaal und Gumaad helfen, die Taschen die Treppe hinauf- und in die Wohnung zu tragen.
Das Chaos in der Wohnung hat einen ganz eigenen Charme, als hätte jemand wohlüberlegt überall Bücher verstreut, damit sie wie die zu Boden gefallenen Blätter einer Geranie wirken. Bücher überall, in einer Vielzahl von Sprachen, über alle möglichen Themen, an der Wohnungstür, ordentlich gestapelt in der Küche, die Rücken gut sichtbar, kreuz und quer in einem Metallregal, am Fuß des Eßtisches und auf einem niedrigen Tischchen in der Toilette. Säuberlich abgestaubt bilden die Bücher ein großartiges Willkommenskomitee für einen Professor für italienische Literatur und seinen Journalistenschwiegersohn. Ein Fernsehgerät ist auch vorhanden, dem Kabelgewirr nach zu urteilen, können sogar Kabelkanäle empfangen werden.
Blumen stehen in den Vasen, und die Vorhänge sind neu, die Zimmer wurden gelüftet, die Betten aufgedeckt – Details, die auf die Hand einer Frau schließen lassen. In den Schlafzimmern befinden sich Handtücher, allerlei Seifen, Fliegenklatschen und Moskitonetze mitsamt Begrüßungsbriefen von Cambara und Bile, in denen es unter anderem heißt: »Wir wünschten, Ihr würdet bei uns wohnen, und vielleicht werdet Ihr das auch – später. Je nachdem.«
»Wahnsinn, so viele Bücher«, sagt Gumaad, der aussieht, als hätte er noch nie eines von vorn bis hinten durchgelesen, und sich über die Gäste belustigt, die sich wie Kinder in einem Spielzeugladen über die Bücher freuen. Sein Blick schweift von Jeebleh zu Malik, dann durch die Zimmer, und er fügt hinzu: »So eine Wohnung habe ich noch nie gesehen.«
Dajaal besteht darauf, ihnen wie ein Hotelpage alles zu erklären. Hier ist die Seife, hier sind die Handtücher. Zur Sicherheitsanlage gehört auch eine türgroße Metallplatte: Wenn man in der Wohnung ist, schiebt man sie von innen vor, und wenn man die Wohnung verläßt, werden Sperrstangen vor Fenster und Tür gelegt. Dajaal zeigt ihnen, wie man die Vorrichtungen handhabt, erklärt ihnen, welche Metallstange in welches Loch gehört. Er erläutert, wie man im Fall einer Gefahrensituation die Schlösser schnell verschließt. »Die Wohnung zu verriegeln ist sehr wichtig. Ihr müßt jederzeit auf der Hut sein. Mogadischu ist eine gefährliche Stadt, aber ihr könnt dafür sorgen, daß sie für euch ein bißchen sicherer ist. Denkt bitte immer daran.«
In letzter Zeit hat niemand hier gewohnt. Bile ist zu Cambara gezogen. Raasta, Biles Nichte – eine Anhängerin des Friedens, die zu sagen pflegt, daß »während eines Bürgerkriegs aufgrund sich laufend verändernder Mißstände ständig gekämpft wird« –, und Makka mit dem schlichten Gemüt – »die weinend lächelte und lachend weinte« – sind erwachsen und
Weitere Kostenlose Bücher