Gekapert
erwähnt aber seine Diskussion mit Bile und Cambara nicht, die Ähnliches im Sinn haben, Geld für Dajaal beiseite legen wollen.
»Das ist sehr nett von Onkel Jeebleh«, meint Qasiir. »Aber was wolltest du mich eigentlich fragen?«
»Ist jemand von deinem Großvater finanziell abhängig, eine junge Familie vielleicht – Männer in diesem Teil der Welt pflanzen sich ja bekanntermaßen fort, bis man sie ins Grab zerrt.«
»Nein, er hatte keine junge Familie.«
»Wirklich niemanden?«
Qasiir bringt die Sprache auf seine jüngste Schwester, die beim Einmarsch der Marines in das Gebiet von StrongmanSouth vom Lärm der amerikanischen Helikopter taub geworden ist. »Sie war damals noch ganz klein. Bedauerlicherweise hat sie seit diesem verheerenden Tag kein einziges Wort von sich gegeben und kann nicht für sich selbst sorgen. Seit ich eine eigene Familie habe, ist Opa ihr Anker gewesen, sie war von ihm abhängig.«
»Laß uns die Einzelheiten besprechen, wenn wir Zeit haben«, sagt Malik. »In der Zwischenzeit würde ich gern wissen, ob du jemanden kennst, der Informationen aus erster Hand hat, was die Behandlung der Somalier an der kenianischen Grenze betrifft, die einen ausländischen Paß haben und verdächtigt werden, mit der Union zu sympathisieren. Laut einem Bericht von HornAfrik, sind FBI -Beamte anwesend, wenn die kenianischen Grenzer die Befragung durchführen.«
»Das ist einfach«, sagt Qasiir, »ich kenne einen Mann namens Liibaan, der gemeinsam mit Opa in der ehemaligen Armee diente und dem eine Busflotte gehört, die soweit ich weiß die Strecke zwischen Mogadischu, Kismayo und dem Grenzübergang bedient. Vielleicht kann er uns dabei helfen, jemanden zu finden. Oder noch besser, vielleicht ist er bereit, sich mit dir zu unterhalten. Überlaß das mir, ich finde schon jemanden.«
Welch grandioser Satz – überlaß das mir –, denkt Malik, vor allem, wenn er mit einer derartigen Zuversicht ausgesprochen wird. Er schöpft daraus Trost, ergötzt sich an seiner Bedeutung: Vertrau mir und alles wird zu deiner Zufriedenheit geregelt.
»Du rufst mich an, wenn du Marduuf nicht findest?«
»Ich weiß, wo er wohnt«, sagt Qasiir, »ich weiß, in welcher Moschee er betet, in welchem Teehaus er Karten spielt. Ich finde ihn. Bis gleich.«
Während er auf Qasiirs Rückkehr wartet, wandert Malik ziellos durch die Wohnung und läßt sich schließlich in seinem Arbeitszimmer nieder. Er hebt ein Blatt Papier vom Boden auf und ein paar Zeilen in seiner Handschrift fallen ihm ins Auge, Teil eines längeren Artikels, den er mittlerweile fertiggestellt und einem Redakteur geschickt hat, welchem weiß er nicht mehr. Die Somalier sind ein Volk, das in der Patsche steckt, eine Nation mit eingeklemmtem Nerv in einem Land, das sich in grauenvollem Zustand befindet. Das ganze Volk ist einer rasch fortschreitenden Degeneration unterworfen, die sich einem fast vollkommen Fremden wie mir nicht richtig erschließt. Alles ist nur ein Schwindel, das genau ist es, lediglich ein Schwindel.
Nach längerem Nachdenken hatte der Verfasser den letzten Satz zögernd durchgestrichen und weitergeschrieben: Dieser Konflikt hat nichts mit religiösen Konflikten oder Clanrivalitäten zu tun. Vielmehr geht es ausschließlich um Ökonomie. Eine somalische Weisheit besagt, dass es am besten ist, die Trommel gehört dir, denn dann kannst du den Rhythmus vorgeben, der dir gefällt. Wenn nicht, ist die zweitbeste Lösung, die Trommel gehört jemandem, der dir nahesteht, einem Verwandten etwa, der sie mit dir teilt. Anders ausgedrückt, der somalische Bürgerkrieg hat sehr viel mit persönlichem Gewinn und persönlichen Konflikten zu tun.
Qasiir wartet im Fernsehzimmer, zappt sich durch Sportsendungen, während Malik sich daranmacht, Muusa Ibrahim, auch bekannt als Marduuf, zu interviewen.
Marduuf tritt auf wie ein Mann, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Er ist mittelgroß, hat eine breite Brust und die Fäuste eines Boxers. Bei jeder Geste bewegen sich die Venen auf seinen Handrücken. Für einen Mann seiner Statur spricht er leise, und sein Lächeln ist entwaffnend.
Malik fragt ihn, wann und wo er geboren sei, wie viele Geschwister er habe und wo, wenn überhaupt, er zur Schule gegangen sei. Marduufs Stimme ist so leise, daß Malik das Aufnahmegerät näher an seinen Mund hält und die Lautstärke reguliert. Außerdem spricht er Dialekt, und Malik muß sich sehr anstrengen, damit er die Feinheiten versteht.
»Bin in Daawo geboren, ist
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