Gekapert
Ungerechtigkeiten der Männer?«
»Ich möchte deine Gefühle nicht beleidigen, meine Liebe, aber ich kann nicht feststellen, daß das Engagement der somalischen Frauen für ihre Emanzipation zur treibenden Kraft der Veränderung wird«, sagt Kala-Saar. »Bei ihnen sind, im Gegensatz zur Jugend, keine Anzeichen der Rebellion zu erkennen. Derzeit stellen sie eine Macht dar, die nicht für fortschrittlichen Wandel, sondern für Rückschritt steht. Was auch daran liegt, daß die Moscheen als Clubs fungieren – und du weißt, in den Moscheen seid ihr kaum vertreten. In meinen Augen sind die Frauen hier rückwärts gewandt, schleiertragend, unterwürfig, rückschrittlich. Es gab Zeiten, da waren die somalischen Frauen besser organisiert – als Teil der politischen Bewegung, als Wegweiser der Nation. Das ist vorbei.«
Xalan betrachtet ihre Fingerknöchel. »Apropos Jugendliche – wie stehst du zum Selbstmordattentat, das bei ihnen als Märtyrertod gilt?«
Kala-Saar kaut schwerfällig, als wären seine Vorderzähne wacklig und unbrauchbar. Er spricht mit vollem Mund, versprüht Bröckchen in alle Richtungen. »Wenn das Vorgehen der Al-Schabaab zur Veränderung führen würde, einem Wandel hin zu einer besseren Gesellschaft, könnte ich sie vielleicht gutheißen. Das ist aber nicht der Fall. Sie wollen die Zerstörung, nicht den Aufbau. Wie die Roten Brigaden. Ich habe damals in Italien gelebt, als das Land von ihnen terrorisiert wurde. Ich kann Zerstörung nicht gutheißen. Zudem ist die Al-Schabaab nur eine vorübergehende Erscheinung, sie werden von der Bildfläche verschwinden.«
Er hält inne, wischt sich den Mund, trinkt einen Schluck Wasser. »Was ich von Selbstmordattentätern halte? Das Problem ist folgendes: Kein Priester ist willens, den höchsten Preis zu bezahlen, sich für den Islam zu opfern. Auch würde kein Priester sein eigenes Kind für die Sache sterben lassen, für die er zu kämpfen behauptet, aber sehr wohl die Söhne und Brüder anderer Leute. Sie sind eine unehrliche Bande, und unehrliches Benehmen kann ich nicht gutheißen.«
Kala-Saar gießt sich Wasser nach und nimmt einen weiteren Bissen, ehe er fortfährt. »Ich bin voller Bewunderung für die Jungen, die sich in einem Maß opfern, das in unserem Teil der Welt bis jetzt völlig unbekannt war. Denkt an Japan, die Amharen in Äthiopien. Zwei Völker mit einer langen Tradition, die darin besteht, daß ein einzelner sein Leben opfert, um dem Gegner großen Schaden zuzufügen: die Kamikazepiloten, die kleine mit Sprengstoff und Bomben beladene Flugzeuge in die Schiffe der Alliierten lenkten oder der barfüßige Tekle Haimanot von Godscham, der in der Schlacht von Adua gegen die italienischen Eindringlinge kämpfte. In Somalia gibt es keine derartige Tradition. Wie schon Thomas Jefferson sagte: ›Der Baum der Freiheit muß von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen begossen werden. Dies ist der natürliche Dünger der Freiheit.‹«
»Billigst du das Vorgehen der Al-Schabaab?« fragt Warsame.
»Ich kann es nicht billigen. Sie kämpfen nicht für die Freiheit, sie kämpfen, um an die Macht zu kommen. Es geht nicht um nationale Interessen, es geht um Partikularinteressen, denn sie kämpfen im Auftrag einer radikalen Randgruppe der somalischen Gesellschaft.«
»Was ist mit ›für den Islam kämpfen‹?« fragt Ahl.
»Der Islam ist nicht bedroht«, sagt Kala-Saar. »Und ich glaube auch nicht, daß es den guten Ruf des Islam fördert, wenn man eine Dreizehnjährige des Ehebruchs anklagt und steinigt, während man ihren Vergewaltiger laufen läßt. Vielmehr verunglimpft ein derartiges Vorgehen den Islam. Genausowenig nützt es, den somalischen Frauen eine Art der Verschleierung aufzuzwingen, die andernorts Brauch ist, hier aber nicht. Oder Musik zu verbannen, Sport im Fernsehen zu verbieten, verschleierte Frauen auf der Straße anzuhalten, um zu überprüfen, ob sie BH s tragen.«
Das Gespräch dreht sich weiterhin um dieses und ähnliche Themen, über die Kala-Saar hochtrabend referiert.
Dann hören sie Faai aus der Küche nach Xalan rufen: »Bitte kommen Sie und hören Sie sich das an.« Xalan geht in die Küche und kehrt mit offenem Mund zurück.
»Was ist passiert?« fragt Ahl.
»Ein Selbstmordattentäter, dessen Identität noch nicht geklärt ist, hat sich mitten in Bosaso in die Luft gesprengt und dabei mindestens zehn Leute getötet«, erwidert Xalan.
Geräuschvoll zieht Ahl Luft ein, er wird leichenblaß. Auch
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