Gekapert
vielleicht solltest du einen deiner Kumpel vom Nachrichtendienst anrufen und ihm mitteilen, was wir wissen.«
»Ich möchte Zaituun nicht verpfeifen. So wie die Dinge stehen, herrscht schon genügend böses Blut zwischen uns«, sagt Warsame. »Wir sollten die Sache nicht noch schlimmer machen, als sie ohnehin ist.«
»Was, wenn wir unsere Vermutungen den Behörden hier mitteilen?« fragt sich Xalan laut, »daß Ahmed, auch bekannt als Saifullah, eventuell einen Anschlag verüben will, der den derzeitig herrschenden Frieden gefährdet?«
Ahl ist dagegen, fürchtet, dies könnte ein mögliches Wiedersehen mit Taxliil gefährden. »Aber es liegen uns doch gar keine zuverlässigen Informationen vor.«
»Was für ein grauenvolles Durcheinander!« ruft Xalan aus.
»Wo könnte er hingegangen sein?« fragt Ahl.
»Ich glaube, daß er von uns nicht gefunden werden will«, sagt Warsame.
»Warum bist du so schrecklich, so absolut pessimistisch? So unentschuldbar unkooperativ?« erkundigt sich Xalan, der nach Übertreibung zumute ist.
Schweigend steuert Warsame den Wagen.
Ahl fühlt sich wie eine Hängebrücke, die zwei Ufer eines Flusses miteinander verbindet. Aus jedem Blickwinkel bietet sich ihm eine andere Perspektive, wartet eine andere Handlungsoption. Ihm ist speiübel.
Xalan verrenkt sich, ihre Hand sucht nach Ahls Hand, der hinten sitzt, ergreift und drückt sie. »Was auch geschieht, ich bete, daß wir Taxliil finden, gesund und munter.«
Vor ihrem Haus steht eine quer geparkte Klapperkiste. Warsame gelingt es nicht, an dem Wagen vorbeizufahren, und er hupt; ihr Chauffeur, die Wangen zum Platzen mit qaat gefüllt, übernimmt das Steuer und schlägt vor, sie sollten den Besucher begrüßen. Ahls Hoffnungen werden erneut geweckt – vielleicht ist Saifullah zurück –, aber gleich wieder zerstört, als er dem Mann vorgestellt wird, der auf den Spitznamen Kala-Saar hört.
Kala-Saar, ein Professor der neugegründeten staatlichen Universität Puntland in Garowe, ist ein Freund Xalans; ein sympathischer, schlaksiger, schlicht gekleideter Mann. Er trägt eine ausgebeulte Hose und ein Khakihemd mit vielen Taschen, die mit Zigarettenschachteln, einer Pfeife und dem passenden Zubehör vollgestopft sind. Er hat die Angewohnheit, sein Somalisch mit italienischen, arabischen oder englischen Wörtern zu spicken, je nachdem, mit welcher Sprache sein Gesprächspartner vertraut ist. Er hat an der L’Orientale in Neapel über die Epistemologie des Islam promoviert und den natürlichen Drang, andere auf die Palme zu bringen. Als des Kochens unkundiger Junggeselle weiß Kala-Saar gute Küche zu schätzen, er ist gefragt, wenn es einer Tischrunde an interessanten Männern mangelt oder eine alleinstehende Frau eingeladen ist.
Umgehend lädt Xalan ihn zum Abendessen ein, worauf er sofort verkündet, er bleibe nur, wenn er am Tisch auch rauchen dürfe. Dann zündet er sich, ohne die Einwilligung seiner Gastgeber abzuwarten, am Stummel seiner Zigarette die nächste an. Xalan schätzt Kala-Saars Äußerungen, seine Manieren hingegen nicht. Sie findet es inspirierend, wenn er über Politik redet oder Menschen unter seine scharfe Lupe nimmt. »Warte mit allem Wichtigen, bis ich wieder da bin. Ich will kein Wort verpassen.«
Dann widmet sie sich, assistiert von Faai, in der Küche den Vorbereitungen der Mahlzeit. Um wenigstens ein paar Gesprächsfetzen von draußen mitzubekommen, schaltet sie das Radio aus.
Während sie sich über Themen von allgemeinem Interesse unterhalten, gewinnt Ahl den Eindruck, daß Warsame von ihrem Gast nicht ganz so begeistert ist. Keiner der beiden hat viel für ihren Präsidenten übrig, den Kala-Saar »höchst inkompetent« nennt und Warsame als »korrupten Einfaltspinsel« bezeichnet.
Dann richtet Kala-Saar seine Aufmerksamkeit auf Ahl. Ganz offensichtlich ist der Mann dank Xalan über Ahl gut informiert. Er kommt ihm wie jemand vor, der nach dem Vorbild des griechischen Gymnasions sein Wissen wie Muskeln spielen läßt.
»Warum habe ich bloß den Eindruck, als hätte Xalan eine außerkörperliche Erfahrung gemacht?« fragt Kala-Saar Warsame. »Du wirkst übrigens auch verändert. Verschweigt ihr mir etwas?«
Ahl vermutet, daß Kala-Saar nach Bestätigung für etwas sucht, das er bereits entweder im Gespräch mit dem Chauffeur oder mit Faai aufgeschnappt hat. Warsame erzählt, daß Saifullah aufgetaucht und erneut verschwunden ist, und bittet Kala-Saar, er möge sich mit jeglichem Kommentar
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