Gekapert
Schwester um diese Tageszeit verrichtet. Sie fragt sich laut, ob es sich lohne, die junge Frau zu fragen, ob sie Saifullah gesehen habe. Warsame rät zu Geduld. Vor der Wohnzimmertür ziehen sie ihre Schuhe aus. Damit hat Ahl nicht gerechnet, er trägt Stiefel und weiß, daß seine Socken schmutzig sind und einer an der Ferse ein großes Loch hat.
Zaituuns Haus ist bescheiden, ohne jeglichen Schnickschnack. In allen Zimmern gibt es Gebetsteppiche zuhauf, manche gegen die Wand gelehnt, andere ausgerollt und zum Einsatz bereit, während wieder andere wie in Erwartung einer Gemeinde von Gläubigen an den Wänden hängen. Alles ist Richtung Mekka ausgerichtet. Vor Ahls innerem Auge entsteht das Bild einer Frau, die beim Beten stirbt, Worte der Lobpreisung auf den Lippen.
Und doch hat Zaituun als Mädchen mit den Jungs Fußball gespielt, erzählt Xalan, jede Schulregel gebrochen, ihren Lehrern widersprochen und sie korrigiert, wenn sie sich irrten. Mit ihrem Mann stand sie auf Kriegsfuß, vom Tag ihrer Hochzeit bis zu seinem Tod an jenem Tag, als zu Beginn des Bürgerkriegs bewaffnete Milizionäre ihr Haus plünderten und er bei der Schießerei ums Leben kam. In ihrem zweiten Jahr als Witwe – das erste hat sie in einem kenianischen Flüchtlingslager verbracht, das zweite in einer heruntergekommenen Zweizimmerwohnung in Toronto, während sie auf ihre kanadischen Flüchtlingspapiere wartete – überraschte sie alle mit dem Entschluß, ihr Leben dem Studium des Korans zu widmen. Ihre vier Töchter heirateten, und sie zog nach Bosaso. Als sie um eine Erklärung für eine derartig grundlegende Wandlung gebeten wurde, sagte Zaituun einmal mit ruhiger Stimme und wohlgesetzten Pausen zu Warsame: »Ich erinnere mich nur, daß ich vor einer unterirdischen Tür stand, die sich in einen hellen, mit Sonnenlicht erfüllten Raum öffnete. Ich erinnere mich daran, daß ich weiter in den Raum hineinging, bis ich mich völlig von den gesegneten Wassern innerer Freude umhüllt fühlte. Erst da wurde mir klar, daß unsere tägliche Wirklichkeit nur ein lichterfüllter Spalt in der Dunkelheit unserer Ewigkeit ist.«
Zaituun kommt ins Zimmer, gerade als ihnen die junge Frau Tee serviert hat, leichtfüßig, mit scharfem Blick, ein Mensch voll innerer Ruhe. Sie lächelt sanft, nickt Warsame und Ahl zu, und im Vorübergehen berühren sich die Schwestern grüßend. Unfähig und nicht willens, ein langes Gespräch zu führen, aus Angst, eine von ihnen könnte eine unpassende Bemerkung machen, beschränken sie sich auf eine hastige, symbolische Begrüßung, der beste Kompromiß, den sie hier und jetzt zustande bekommen.
»Hast du Ahmed gesehen?« fragt Xalan.
Zaituun zuckt mit den Achseln und läßt sich alle Zeit der Welt, tut so, als sagte ihr der Name nichts. Um sie aus der Reserve zu locken, meint Warsame: »Vielleicht nennst du ihn Ahmed-Rashid oder Saifullah?«
Zaituun steht immer noch. »Wir haben gemeinsam gebetet«, sagt sie, »ich habe ihn gefragt, wo er war, wohin er geht, welche Pläne er hat. Keine meiner Fragen wurde beantwortet. Wir aßen gemeinsam, schweigend, er betete um größeren Opfermut. Er küßte und umarmte mich, als ginge er auf eine Reise, von der er nicht zurückkommen wird, und ich wünschte ihm viel Erfolg und Gottes Segen.«
Nervosität macht sich breit; Xalan ist eindeutig sehr aufgeregt, steckt damit Ahl und Warsame an, die nun ebenfalls besorgt sind. Warsame, weil er befürchtet, daß Xalan aus dem Gleichgewicht gerät, Ahl, weil er der Meinung ist, das Auffinden Taxliils hänge von Saifullahs Informationen ab. Es kostet ihn seine gesamte Energie, sich zusammenzureißen.
»Laßt uns gehen«, sagt Warsame schließlich resolut.
»Wohin?« fragt Xalan.
»Warum sollen wir hierbleiben?« kontert er und verabschiedet sich so eilig von Zaituun, daß Xalan und Ahl hastig aufstehen, um mit ihm Schritt halten zu können. »Gott behüte dich«, sagt Ahl zu Zaituun und versucht so, den strengen Blick, den sie auf ihre Schwester gerichtet hat, zu mildern. Er spürt das Gewicht der Niederlage.
»Wir müssen davon ausgehen, daß Zaituun mehr weiß, als sie sagt, und unser weiteres Vorgehen entsprechend ausrichten«, sagt Xalan, als sie wieder im Auto sitzen. »Meine Schwester ist herzlos. Es ist ihr zuzutrauen, daß sie genau weiß, was Saifullah und seine Vordenker vorhaben – und ich habe das bestimmte Gefühl, daß sie nichts Gutes im Schilde führen. Sollten wir eventuell die Behörden informieren? Warsame,
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