Gekapert
Wenn ich jetzt so zurückdenke, wirkt alles voll lustig«, sagt Taxliil und macht einen Moment lang einen entspannten Eindruck.
»Wie sah eure Ausbildung aus?«
»War wie im militärischen Trainingslager«, sagt Taxliil. »Vor dem Fadschr-Gebet laufen, Haferbrei zum Frühstück, wieder körperliches Training, Einweisung in den Bombenbau, Mittagessen, Gebet, eine halbe Stunde Pause, und so ging es weiter bis zum Anbruch der Dunkelheit, keine weiteren Pausen bis auf die Gebete.« Er ist jetzt in Schwung, benötigt keine Ermunterung durch Ahl. »Der Junge, den ich von der Jefferson gekannt habe, wollte nicht bloß wissen, wie man Bomben baut, sondern auch, wie man sie entschärft.«
»Und wie lautete die Antwort?«
»Kriegte ’ne Standpauke. Der Ausbilder hat ihn Weichei genannt. Die Al-Schabaab entschärft keine Bomben, hat er gesagt, sondern stellt welche her, um damit soviel Zerstörung wie möglich zu verursachen, bis wir dann an die Macht gelangt sind und einen islamischen Staat aufgebaut haben, den ersten richtigen islamischen Staat nicht nur des Kontinents, sondern der gesamten Welt. Ein Beispiel für andere, ein Vorbild und Leitstern für andere Muslime.«
»Und wie erging es dir während der Ausbildung?«
»Am Anfang hat alles riesig Spaß gemacht.«
»Und dann?«
Taxliil wirkt verblüfft, als hätte er sich auf dem Weg zu seiner Antwort verirrt. Was bringt ihn denn so außer Fassung? Welche Themen klammert er immer noch aus?
»Hast du Freunde gefunden?« fragt Ahl.
»Ich hab gewußt, daß ich Ali-Kaboole vertrauen kann, er ist ungefähr in meinem Alter und auf die Roosevelt High gegangen, ziemlich clever, nett, immer um mich besorgt, extrem großzügig. In ihm hab ich einen Freund gefunden gehabt, und zuverlässig war er auch. Er hat mich an Samir erinnert.«
»Was ist aus Kaboole geworden?«
»Kaboole ist tot, von einem der Unseren in die Luft gejagt.«
Ahl möchte Näheres erfahren.
»Er ist bei einem Zusammenstoß mit einer der Splittergruppen getötet worden, die mit der Al-Schabaab um die Herrschaft über die Küstenstadt Kismayo kämpfen. Dabei sind einige unserer besten Männer ums Leben gekommen.«
»Hast du auch an den Kämpfen teilgenommen?«
»Nein, nie.«
»Warum nicht?«
»Ging ja nicht, ich hatte keine Brille.«
»Wie bist du überhaupt ohne zurechtgekommen?«
»Bevor Kaboole gestorben ist, hat er bei einem Gefecht auf dem Schlachtfeld eine Brille gefunden, die Gläser dick wie Flaschenböden. Sie gehörte einem alten Mann von der gegnerischen Seite. Kaboole hat es gut gemeint, war der Meinung, Brille ist gleich Brille, und jede würd’s tun. Wir haben ständig Witze darüber gerissen.«
»Du hast sie aber trotzdem aufgesetzt?«
»Ich hatte ja keine andere.«
»Und dann?«
»Man hat mir ›zivile‹ Pflichten übertragen, und nach einer Weile war ich ganz gut als Computerprogrammierer. Ich bin zur PR -Truppe versetzt und bald befördert worden, ich war der Verbindungsmann und Dolmetscher für die ausländischen Gruppen, die den Kader in Bombenbau und Sprengstoff unterweisen.«
»Anscheinend kein allzu hartes Leben.«
Taxliil widerspricht sofort. »Es war hart. Kein Fernsehen. Kein Spaß. Keine Spiele. Anfangs war’s leicht. Aber später hat sich’s angefühlt wie ein Stück Hölle, das du Tag für Tag aufs neue mit dem Essen auf den Teller geknallt kriegst. Oft fiel der Begriff shahid , Märtyrer. Als wir uns der Al-Schabaab angeschlossen haben, da haben wir alles geglaubt, was uns über das Paradies und die Huris im Himmel erzählt worden ist. Irgendwann haben wir begriffen, daß shahid bedeutet ›derjenige, der mit Sterben dran ist‹.«
Ahl ist sich nicht sicher, ob Taxliils momentan demonstrierte Feindseligkeit seine anfängliche Begeisterung für die Al-Schabaab vollständig ersetzt hat. Wird er bis zu ihrer Ankunft in Dschibuti weiterhin zwischen widersprüchlichen Positionen hin und her schwanken? Und sich dann, wenn ihn die amerikanischen Behörden in die Mangel nehmen, noch elender fühlen?
»Hast du eine Ahnung, was mit deinem Paß passiert ist?«
»Es gab so Gerüchte. Das war’s aber auch schon.«
»Welche Gerüchte?«
»Die Geschichten waren ziemlich widersprüchlich«, sagt Taxliil. »Unsere amerikanischen Ausweise sollen dazu benutzt worden sein, ausländische Kämpfer nach Somalia zu holen, aber wir haben gewußt, daß das nicht stimmte, denn alle ausländischen Kämpfer waren älter als wir. Dann hieß es, einige der Al-Schabaab-Führer
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