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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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war. Als genieße er es, daß er seine Flucht planen und abhauen konnte, ohne daß seine Eltern und seine Freunde etwas mitbekamen. Ahl verwöhnt ihn mit einer ausführlichen Antwort: Er und Yusur hätten gedacht, Taxliil sei in der Schule oder der Moschee, und sich erst abends gefragt, wo er bleibe. Da Yusur Nachschicht hatte, wäre ihm die Aufgabe zugefallen, Taxliils Zimmer nach Hinweisen auf seinen Aufenthaltsort zu durchsuchen, und dabei hätte er entdeckt, daß Paß und Reisetasche fehlten.
    »Was hast du dann gemacht?«
    »Wir waren verzweifelt, befürchteten, dich nie wieder zu finden, denn niemand hatte dich gesehen, wir suchten die Polizeiwachen und die Krankenhäuser ab«, erwidert Ahl. »Gelähmt wie wir waren, waren wir auch erleichtert, als du zwei Tage später anriefst, um zu sagen, daß du in Somalia seist.«
    »Aber ich war damals gar nicht in Somalia«, sagt Taxliil hämisch.
    Es ist das erste Mal, daß er das sagt, und Ahl kann nicht einschätzen, ob er lügt. Das ist das Problem: Eine Lüge kann dazu führen, daß man die Wahrheit des Vergangenen und des Kommenden bezweifelt.
    »Von wo aus hast du dann angerufen?«
    »Ich war in Lamu, kurz bevor wir mit dem Boot nach Kismayo gefahren sind.«
    »Laß uns ganz am Anfang einsteigen, noch bevor du nach Kenia kamst. Wie bist du nach Nairobi gekommen?«
    »Über Abu Dhabi mit Zwischenstation in Amsterdam. Von dort sind wir direkt nach Nairobi geflogen«, erzählt Taxliil. »Ich war mit einem anderen Schüler von der Jefferson High zusammen, den ich allerdings vorher nicht gekannt habe.«
    »Ging er auch in dieselbe Moschee?«
    »Ja.«
    »Kanntest du ihn gut genug, um ihm zu vertrauen?«
    »Wir haben uns nicht gleich auf Anhieb verstanden«, sagt Taxliil und fügt hinzu, »du weißt ja, wie das ist. Manchmal versteht man sich sofort mit jemandem, manchmal nicht. Aber während der langen Reise haben wir uns immer besser verstanden, wurden beste Freunde. Und das war ’ne gute Sache.«
    Das gefällt Ahl, er mag es, wenn Menschen gut mit anderen auskommen und sich Mühe geben, damit andere sich wohlfühlen. Früher bereitete den Menschen Taxliils Gesellschaft Freude. Früher war gut mit ihm auszukommen, er war ein reizendes Kind. Die Zeit mit Al-Schabaab hat einen anderen Menschen aus ihm gemacht, einen wehleidigen, ängstlichen Jugendlichen, der die Welt und ihre Bewohner mißtrauisch beäugt.
    »Jetzt erzähl mir mal, wie du von Nairobi nach Lamu gekommen bist.«
    »Ein paar von uns sind nach Malindi geflogen, wo wir uns schließlich alle getroffen haben. Wir kamen aus verschiedenen Richtungen nach Nairobi«, sagt Taxliil und ist stolz, daß er sich an die frühere Version seiner Erzählung erinnert.
    »Und von Malindi aus?«
    »Von Malindi haben wir ein Boot nach Lamu genommen.«
    »Und von Lamu dann nach Kismayo?«
    »Genau.«
    Ahl zieht das Gespräch absichtlich in die Länge, um mehr Zeit zu haben, Taxliils Miene zu studieren. »Und nachdem ihr in Kismayo angekommen seid?«
    »Wir haben dort eine Nacht verbracht, wurden dann in kleine Einheiten aufgeteilt. Unsere amerikanischen Pässe haben wir den Aufpassern übergeben, die uns in den Wald führten, wo wir unsere Ausbildung erhielten. Am zweiten Tag bin ich krank geworden.«
    »Was war los?«
    »Das Jubbatal ist Malariagebiet.«
    Soweit, so gut. Alles läuft reibungslos, keine überlangen Pausen. Mutig springt Ahl ins Al-Schabaab-verseuchte Wasser, fragt Taxliil nach den Namen seiner Aufpasser, bittet ihn, genau zu erzählen, wann und wo er sie getroffen habe.
    »Wie hieß der Lagerleiter?«
    Taxliil wiederholt die Antwort, die er bereits mehrmals gegeben hat. »Wir haben nie die richtigen Namen der Ausbilder erfahren. Auch nicht die Namen unserer Aufpasser oder der Personen, denen wir unsere Pässe aushändigten.«
    »Kannst du dich an besondere Merkmale erinnern?«
    »Unser Ausbilder hatte einen nordsomalischen Akzent und brüllte uns ziemlich häufig an, er hat keinen Widerspruch geduldet und war ein ziemlicher Zuchtmeister.« Dann versucht er halb im Scherz seinen Ausbilder nachzuahmen. »›Wir sind kein Teil der Geschichte. Wir schreiben Geschichte, lebendige Geschichte! Wir sind keine Befreier‹, hat er immer skandiert, ›unsere Wut, unser Tatendrang macht uns zu Märtyrern, damit wir diese Nation vor der Selbstzerstörung retten‹. Dann hat er wieder geschrien: ›Wir sind kein Teil der Geschichte. Wir schreiben Geschichte, lebendige Geschichte!‹ Wir tauften ihn Taariikh, Geschichte.

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