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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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mich das«, erwidert Bile.
    Jeebleh ist sich bewußt, daß viele der Somalier, mit denen er sich über das Thema Piraterie unterhalten hat, die ausländischen Schiffe, die illegal in den somalischen Gewässern ­fischen, vorbehaltlos verurteilen. Deren hemmungslose Raubzüge hätten die Fischer arbeitslos gemacht und sie zur Piraterie verleitet, lautet ihre Meinung. Tatsächlich baten die somalischen Fischer die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft um Hilfe, die vielen ausländischen Schiffe loszuwerden; 2005 waren es ungefähr siebenhundert, die vor der Südküste des Landes ohne Konzession Fischerei betrieben. Das von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen 2005 erstellte Länderprofil bestätigte, daß diese Schiffe nicht nur die somalischen Meeresressourcen ausbeuteten, sondern daß viele von ihnen Atom- und Chemiemüll verklappten.
    »Warum interessiert dich das Thema?« fragt Jeebleh Bile.
    »Weil ein entfernter Neffe von mir, ein ehemaliger Fischer, nachdem ein koreanisches Schiff auf ihn und seine Freunde geschossen hatte, als sie versuchten, die Fremden aus ihren Fanggründen zu vertreiben, sich ein kleines Motorboot gekauft und in Xarardheere eine eigene Piratentruppe gegründet hat. Man hatte sie beschossen, verletzt und arbeitslos gemacht, und so gründeten mein Neffe und die anderen Fischer eine Art Genossenschaft, bewaffneten sich und schlugen zurück. Zuerst entführten sie eine Jacht, erbeuteten ein paar tausend Dollar Lösegeld, und dann kaperten sie ein koreanisches Schiff samt Besatzung. Sie bekamen mehrere Tausende Dollar Lösegeld.«
    »Bloß ein paar tausend Dollar Lösegeld?«
    »Glaubst du, daß Rache das Motiv ist? Und sie sich zurückholen wollen, was ihnen rechtmäßig gehört, weil sich die Welt nicht um die rechtswidrige Fischerei schert?« fragt Jeebleh.
    »Nach dem zu urteilen, was mein Neffe mir erzählt, ist da nicht viel Geld zu holen. Die Verluste, die Somalia durch den entgangenen Fischfang, die fortwährende Schädigung der Umwelt und so weiter, erleidet, sind größer«, sagt Bile.
    »Willst du damit sagen, daß keine verschwenderischen Hochzeitsfeste gefeiert, keine prächtigen Villen in Eyl, Hobyo und Xarardheere gebaut werden?« wundert sich Malik laut. »Schwimmt denn nicht die ganze Region nur so in Geld und Luxusgütern?«
    »Ich weiß nur, was mir mein Neffe erzählt hat«, erwidert Bile. »Er spricht von jeweils zehntausend Dollar, viel weniger, als die Zeitungen behaupten.«
    »Wo geht das Geld dann hin?« will Malik wissen.
    »Ich denke dauernd, daß da irgend etwas nicht zusammenpaßt«, sagt Cambara.
    »Nun ja«, sagt Jeebleh, »Ciceros oft zitierte Beschreibung des Piraten als ›Feind der Menschheit‹ trifft nicht unbedingt die Wahrheit, wenn es um jene Somalier geht, die vor Ort als Küstenwache der Nation gelten.«
    »Ciceros Zitat mag damals zutreffend gewesen sein, als Raub zur See üblich war und alle am Meer lebenden Völker als Piraten bezeichnet werden konnten – denn das waren sie nämlich«, sagt Bile. »Laut Thukydides war bei den alten Griechen Raub zur See ein durchaus üblicher lukrativer Beruf. Hier in Somalia fing die ›Piraterie‹ erst an, nachdem unsere Meeresschätze in großem Umfang geplündert worden waren.«
    »Um ehrlich zu sein«, sagt Cambara, »das barbarische Unwesen auf See und das Banditentum an Land sind die normalen Folgen eines seit über zwei Jahrzehnten andauernden Bürgerkriegs. Jede andere Erklärung ist in meinen Augen abwegig.«
    Bile verzieht das Gesicht. »Wie dem auch sei«, sagt er schließlich. »Laut einem Buch, das ich gelesen habe, befehligte Mrs. Cheng, die chinesische Piratin, eine Flotte, die größer war als die Marineflotten vieler Länder. Das war eine Piratin, was?«
    »Nicht schlecht«, meint Malik.
    »Jeebleh hat mir erzählt, daß deine Eltern sich in Aden kennengelernt und geheiratet haben«, sagt Cambara. »Wie interessant.«
    Plötzliche Erschöpfung verändert Biles Gesicht, wie eine Pflanze, die zuviel Sonne abbekommen hat und nun zu welken beginnt. Als Cambara ihm ins Ohr flüstert, ob er Hilfe benötige, winkt er ab. Jeebleh findet, daß Bile sich wie ein müdes Kind benimmt, das sich weigert, ins Bett zu gehen.
    »Wenn man danach geht, was die westlichen Medien über ihre Heldentaten berichten, könnte man meinen, die Somalier hätten die Piraterie erfunden. Ihr wird mehr Beachtung geschenkt, als allem, was sich sonst im Land abspielt«, sagt

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