Gekapert
einschlägt, ist sich Grünschnabel sicher, daß er das Krächzen eines Seevogels hört, er kann es allerdings nicht deuten, vielleicht verkündet es ja seinen bevorstehenden Tod.
Dhoorre fällt vom Stuhl, ein Häufchen Selbstvorwurf, er ist traurig, daß er keine Zeit gehabt hat, seinen Sohn, seine Schwiegertochter und seine Enkelkinder vor dem Hinterhalt zu warnen, in den sie geraten werden.
Aus der Körperhaltung des Mannes läßt sich nicht erkennen, ob er tot ist. Er liegt auf dem Rücken, den Kopf zur Seite gedreht, die Augen nicht ganz geschlossen, es sieht aus, als schliefe er.
Die Männer mit den Kufijas sitzen da, in der unheimlichen Stille, die auf die Erschießung folgt. Das Klingeln eines Handys reißt sie aus ihrer Reglosigkeit. Sie tauschen besorgte Blicke.
Grünschnabel schaut sich um, als wollte er herausfinden, nicht ob, sondern wann ihn einer der Männer erschießen wird. Die Erkenntnis, daß es nur noch eine Frage von Minuten sein könnte, bis er stirbt, verdichtet sich, und er beschließt, keine Angst zu haben. Er geht zu dem Alten, der auf dem Rücken liegt, der Hals gekrümmt, die Hände seitlich ausgebreitet. Seine Nacktheit ist peinlich. Zum Beweis seiner Furchtlosigkeit rückt Grünschnabel die Beine des Mannes gerade und legt ihm die Hände auf der Brust wie im Gebet zusammen. Er tritt einen Schritt zurück und betrachtet sein Werk, zufrieden, es dem Alten im Tod so bequem wie möglich gemacht zu haben. Dann wartet er.
Vollbart steht der Ärger ins Gesicht geschrieben. Ungeduldig blickt er von Fußknecht zu VerkünderDerWahrheit, als wunderte er sich, warum sie noch nicht auf seinen Zorn reagiert haben. Mit noch wütenderem Blick betrachtet er Grünschnabel, als erwartete er, daß der Bursche vor Schreck auf die Knie fällt. »Hast du etwas zu sagen, bevor du stirbst?« fragt er Grünschnabel.
Grünschnabel schweigt herausfordernd. Er sieht von Vollbart zu Fußknecht und starrt dann VerkünderDerWahrheit unerbittlich ins Gesicht.
Vollbart wendet sich an VerkünderDerWahrheit. »Tust du uns den Gefallen und befreist uns von diesem Ding da, diesem Ungeziefer?«
»Ich habe gehofft, daß du mich fragst«, sagt Fußknecht.
»Keine Sorge, du kommst auch noch an die Reihe. Aber jetzt ist erst mal VerkünderDerWahrheit dran. Ich habe ihn noch nie töten sehen.«
VerkünderDerWahrheit schließt die Augen, windet sich wie ein Kind beim Einnehmen einer bitteren Medizin und schießt Grünschnabel direkt zwischen die Augen. Dann schraubt er den Schalldämpfer von seiner Waffe.
»Gut gemacht«, sagt Vollbart. Er weist Fußknecht an, die beiden Leichen zu entfernen, sie im Garten abzuladen und sich dann wieder umgehend zum Dienst zu melden. »Es gibt vor Einbruch der Dunkelheit noch jede Menge Arbeit für uns«, fügt er hinzu. »Erinnert euch daran, daß wir ein Land zu befreien, ein Volk im Sinne unseres Glaubens zu unterweisen haben. Los, beeilt euch, ihr beiden. Worauf wartet ihr?«
VerkünderDerWahrheit bietet sich an, Fußknecht zu helfen; jeder zerrt einen Leichnam aus dem Zimmer.
S ie erreichen das Haus von Cambara und Bile, Dajaal klingelt, und erstaunt vernehmen Malik und Jeebleh Hundegebell. Keiner von beiden erinnert sich daran, daß Hunde erwähnt wurden, und sie sehen erst einander, dann Dajaal an. »Das Klingeln aktiviert drinnen Hundegebell«, erklärt Dajaal. »Cambara hat das Gerät aus Toronto mitgebracht, um potentielle Einbrecher abzuschrecken. In einem muslimischen Land, in dem niemand Wach- oder Schoßhunde hält, hat sich das als äußerst effektiv erwiesen, denn jeder hat Angst vor ihnen.«
Cambara hat in der Nähe des Eingangs bei geöffneter Tür auf sie gewartet, lächelt jetzt strahlend und kommt Jeebleh und Malik, die am Wachdienst vorbeigehen, zur Begrüßung entgegen. Sie umarmt Jeebleh und küßt ihn auf beide Wangen. Bei Malik ist sie förmlicher, nimmt seine Rechte in beide Hände. Dajaal verabschiedet sich, wenn er sie abholen solle, genüge ein Anruf.
Auf dem Weg zum Haus geht Cambara zwischen den beiden Männern, hält zum Zeichen ihrer Verbundenheit Jeeblehs Hand, auch wenn sie zuvor nur telefoniert haben. Er erinnert sich daran, in welchem Zustand Cambara hier eintraf: eine verstörte, trauernde Mutter, die ihren einzigen Sohn verloren hatte, die Ehe zerbrochen, das Leben ruiniert. Seamus, mit dem er über sie gesprochen hatte, sagte, sie sei damals sowohl selbstmordgefährdet als auch mordlustig gewesen. Dann begegnete sie Bile, und er und
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