Gekapert
entschlossen, zu tun, was ihr gefällt, geht es Jeebleh durch den Kopf. Dajaal hat ihm berichtet, daß sie erst Kopftuch trug, später dann auch Schleier, um die endlosen Querelen mit Männern auf ein Minimum zu beschränken, denen es widerstrebt, Frauen mit unbedecktem Haar oder junge Frauen in Hosen oder jener Art Kleider zu sehen, die dazu angetan sein könnten, männliches Begehren hervorzurufen. Frauen haben ihre körperlichen Vorzüge zu verbergen, damit Männer, in denen das Feuer des Begehrens brennt, nicht zur Sünde verführt werden. Für Cambara, die gelernte Visagistin und Schauspielerin, muß es schwer sein, ihrer Weiblichkeit nicht Ausdruck verleihen zu dürfen – falls ihr denn etwas daran liegen sollte.
Kein Wunder, daß manche Extremisten sie aus jener Stadt jagen möchten, in der sie das Glück gefunden hat, das ihr in Toronto versagt blieb.
In diesem Moment steht Dajaal vor der Tür, um sie in ihre Wohnung zurückzufahren.
Cambara sieht Jeebleh lange und nachdrücklich in die Augen. Besorgnis liegt in ihrem Blick, eine Art tiefe Einsamkeit, denkt Jeebleh und bemerkt, daß sie sich mit der Zunge mehrmals über die Lippen fährt und Tränen zurückzuhalten scheint. Auch wenn sie es nicht über die Lippen bringt, sie möchte nicht, daß die beiden gehen, möchte den Abschied ins Unendliche hinauszögern. Malik seinerseits findet, daß es nichts gibt, was sich mit der Einsamkeit einer Frau vergleichen läßt, die sich in einer Stadt wie Mogadischu um den Mann kümmert, den sie liebt.
Sie begleitet sie hinaus. »Ich wünschte, ihr würdet hier bei uns bleiben, alle beide. Wir dachten bloß, vielmehr Bile dachte, daß Malik lieber seine eigene Wohnung hat, wo er in Ruhe schreiben und Interviews führen kann. Außerdem wohnt ein junger Mann bei uns im Anbau, Robleh, der jüngere Bruder eines engen Freundes von mir, ein eingefleischter Anhänger der Union. Er verbringt die ganze Zeit in der Moschee und politisiert. Ich würde ihn euch gerne vorstellen. Er ist so eine Art Talentsucher für die ganz radikale extremistische Gruppierung.«
»Ich würde ihn gern treffen«, meint Malik.
»Robleh steht auf alles, was die Extremisten tun«, sagt sie. »Wer weiß, vielleicht kennt er jemanden, der euch helfen kann, herauszufinden, was aus Taxliil geworden ist. Was meinst du?«
Dajaal, der sich zu ihnen in den Vorraum gesellt hat, zeigt auf seine Armbanduhr, bedeutet ihnen, daß es bald kein Tageslicht mehr gibt. Wie eine Mutter, deren Baby in einem anderen Zimmer schläft, reagiert Cambara auf ein Geräusch von oben: Bile, der die Toilettenspülung betätigt und langsam zurück ins Bett schlurft.
»Ich muß nach oben«, sagt sie, umarmt die beiden, und sie verlassen das Haus.
Jeebleh ist von der Idee der Stadtrundfahrt nicht begeistert, aber er macht kein Aufhebens davon. Schweigend sitzt er da, während Dajaal als Stadtführer fungiert und Maliks Fragen beantwortet. Dajaal zeigt auf Gebäude, nennt Straßennamen und buchstabiert die Namen der Viertel, durch die sie fahren; Malik macht sich eifrig Notizen. Dajaal kennt die Stadt aus dem Effeff. Malik schreibt in sein Notizbuch: Das Herz wird einem schwer.
Die Zerstörung hat der Stadt eine grundlegende Gleichförmigkeit verliehen, findet Jeebleh, als wäre eine einzige Bombe detoniert und hätte die umliegenden Gebäude zum Einsturz gebracht oder diese wären aus Sympathie ebenfalls eingestürzt. Die Stadt betont ihre Häßlichkeit, wie eine Frau, die einstmals eine Schönheit war und sich nun weigert zuzugeben, daß das Alter sie eingeholt hat. »Die Stadt hat etwas Provokatives an sich, die einzelnen Viertel, Dörfer von nicht geringer Größe, sind weniger als die Summe des Ganzen«, sagt Dajaal. »Sie erstreckt sich völlig ungeordnet in viele verschiedene Richtungen, als wäre ein blinder Stadtplaner für ihr derzeitiges Aussehen verantwortlich.«
Frauen in Niqab, Schleier und Körperzelten gehen vorüber, bewegen sich vorsichtig durch die staubigen Straßen, auf denen es von rasenden Minibussen nur so wimmelt. In einer Stadt, in der es kaum Wahrzeichen, keine Fahrbahnmarkierungen und keine Straßennamen gibt, verliert man die Orientierung.
»Die Stadt hat viele Veränderungen erlebt, hinsichtlich der Menschen, die von ihr angezogen werden, und der Dienstleistungen, die sie anbietet oder nicht mehr anbietet«, erklärt Dajaal.
Da führen schmutzige Gassen in ein Labyrinth aus Sackgassen, dort sind Schutthügel zu sehen, die durch jahrelange
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