Gekapert
Cambara.
»Vielleicht liegt das an den Geiselnahmen?« fragt sich Malik laut.
»Und an der Gefahr für die Schiffahrtswege.«
»Aber das waren doch nicht die Ursprünge der Piraterie«, wirft sie ein.
»Ich bin sicher, das weiß er«, sagt Jeebleh.
»Wirst du nach Puntland reisen, um über die Piraterie dort zu schreiben?« fragt Cambara Malik.
»Ich möchte über alles schreiben, was das Leben der Somalier betrifft, den Bürgerkrieg und seine Auswirkungen«, sagt Malik. »Die äthiopische Invasion. Die Piraterie, und wer sie finanziell unterstützt, woher die Piraten ihre Informationen bekommen, wie sie die Lösegeldzahlungen erhalten.«
»Ich habe dir doch bestimmt am Telefon erzählt, daß Ahl, Maliks älterer Bruder, nach Puntland kommt, um seinen Stiefsohn zu finden. Taxliil ist ausgerissen, und wir glauben, daß er sich dort bei den Extremisten verkrochen hat.«
Als Bile das hört, wird er wieder munter. »Siehst du, meine Liebste, nichts geschieht ohne Grund. Illegale Fischerei in somalischen Gewässern führt zu Piraterie. Der äthiopische Einmarsch. Die Verstrickung der Amerikaner in die somalische Politik. Die Anwesenheit Al-Qaidas auf der Halbinsel. Die Union und ihre Schwachstellen, die nur für uns, die wir in Mogadischu leben, offenkundig sind. ›Immerhin hat die Union dem Land Frieden gebracht‹, sagen die Somalier in der Diaspora. Wir, die wir hier im Land leben und es besser wissen, können da nur entgegenhalten: ›Und zu welchem Preis?‹ Ich bezweifle sehr, daß es das wert war. Schließlich hätte die Verwüstung, in die das Land nach der äthiopischen Invasion gestürzt wurde, vermieden werden können. Wenn’s doch nur so gewesen wäre!«
Jeebleh richtet seinen Blick auf Bile, der ihn scharf ansieht, als wollte er ihn dazu drängen, ihm gegenüber aufrichtig zu sein.
»Ich weiß, daß jede Medaille ihre zwei Seiten hat«, sagt Jeebleh. Dann platzt er zu seinem eigenen Erstaunen heraus: »Wir hatten auch schon eine Begegnung mit der launischen Autorität der Union.«
Malik hält mitten in der Bewegung inne, den vollen Löffel zwischen Teller und Mund, und starrt seinen Schwiegervater an. Ganz offensichtlich gefällt es Malik nicht, daß Jeebleh sich entschlossen hat, ihre Auseinandersetzung mit Vollbart zu erzählen.
Ein unbehagliches Schweigen legt sich über den Tisch. Schuldbewußt zieht Bile einen Flunsch. »Ist Zeit, mich zurückzuziehen«, sagt er zu Malik. An Cambara gewandt, fügt er hinzu: »Steh bitte nicht auf. Bleib bei unseren Gästen.« »Bis später«, verabschiedet er sich von Jeebleh.
Befangen verstummen sie. Es dauert lange, bis Bile die Treppe erreicht hat und noch länger, bis er die Stufen, eine nach der anderen, hinaufgestiegen ist. Als er außer Sichtweite ist und sie davon ausgeht, daß er sie nicht hören kann, erklärt Cambara: »Bile wird schnell müde.«
Jeebleh sorgt sich, daß Cambara Bile eines Tages einfach verlassen könnte, und fragt sich, was dann aus seinem Freund werden soll. Er denkt an ein jüngeres Paar, mit dem er seit Jahren befreundet ist. Die Frau, ungefähr zehn Jahre jünger als der Mann, stieg, kurz bevor sie fünfzig wurde, aus der Ehe aus. Kurz darauf ging sie eine lesbische Beziehung ein; der Gedanke an einen Ehemann, der von ihr, die sie die Wechseljahre hinter sich hatte, Sex fordern würde, hatte sie vor Männern zurückschrecken lassen. Sie habe sich gefürchtet, der Unersättlichkeit ihres Mannes ausgesetzt zu sein, erklärte sie, und habe gedacht, mit einer Frau sei es einfacher. Jeebleh fand nie heraus, ob das der Fall war, denn er getraute sich nie, wenn sie sich im Aufenthaltsraum der Universität trafen, an der sie beide unterrichteten, diese Frage zu stellen.
Keiner möchte mehr etwas essen. Alle drei stehen auf, und Malik, der unbedingt eine Stadtrundfahrt machen möchte, sammelt die Teller ein und trägt sie in die Küche. Als er zurückkommt, ist Jeebleh dabei, Cambara von seiner Familie zu berichten, erzählt besonders anrührend von seiner Enkelin und wie lebhaft sie sei. Jeebleh schenkt Malik ein herzliches Lächeln.
»Sei vorsichtig«, sagt Cambara zu Malik, « Journalisten sind hier stets gefährdet. Einige Mitglieder der Fünften Kolonne stecken mit den Extremisten unter einer Decke, andere mit ausländischen Kräften, darauf bedacht, ein ohnehin schon geschwächtes Land noch mehr zu schwächen.«
Wahrscheinlich ist Cambara mit den Extremisten in Konflikt geraten, weil sie eine unabhängige Frau ist,
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