Gekapert
man eine bis zum Rand volle Suppentasse abstellt. »Das beste Lammgericht, das Mogadischu zu bieten hat. Herzliche Grüße von Cambara und Bile.«
»Wie aufmerksam«, sagt Malik.
»Das ist aber doch nicht selbstgekocht?«
»Natürlich nicht«, sagt Dajaal.
Während alle vier zu essen beginnen, fällt Jeebleh eine Mogadischuer Tradition ein: Familien schickten Essen zu den vielen winzigen Wohnungen, die dem Friedhof gegenüberlagen. Es handelte sich um die Wohnungen der unverheirateten jungen Männer der Familie, die nur eine Schlaf-, aber keine Kochgelegenheit hatten. Wenn sie eine Arbeit hatten und es sich leisten konnten, zogen es die Junggesellen abends vor, nicht mit dem Rest der Familie Bohnen und Reis zu essen, sondern in einem Restaurant zu speisen. Bei ihrer Heimkehr wartete ein Glas abgekochte, gezuckerte Milch auf sie.
Das Lamm sieht zart und saftig aus; es ist auf traditionelle Weise zubereitet worden, hat genau die richtige Bräune, thront auf einem Bett aus Safranreis und ist mit verschiedenen Gemüsesorten garniert. Das Gericht löst in Jeebleh die weit zurückliegende Erinnerung an eine Einrichtung namens Jangal Night Club aus, die berühmt für ihre Lammgerichte war. Den Namen hatte das Lokal erhalten, weil es inmitten der Wildnis lag. Man saß in Gesellschaft einer jungen Frau direkt unter den Akazien. Kellner schwirrten durchs Halbdunkel, zeigten den Gästen mit Petroleumlampen den Weg zu ihren Nischen. Man bestellte, die Kellner ließen sich jedoch Zeit, gaben dem Paar genügend Zeit »ihr Ding zu machen«. Wenn sie wieder auftauchten, die Petroleumlampe in der einen und die Servierplatte in der anderen Hand, taten sie ihre Anwesenheit kund und betraten die Nische erst nach Aufforderung.
Jeebleh ist sich sicher, daß die Extremisten eine derartige Einrichtung heutzutage nicht mehr zulassen würden, fragt aber trotzdem: »Was ist übrigens aus dem Jangal geworden?«
»Das Essen stammt vom Jangal«, sagt Dajaal.
»Das überrascht mich aber«, tut Jeebleh kund.
»Das Jangal hat vor kurzem unter neuem Management in einem Hotel wiedereröffnet«, erklärt Dajaal. »Die bedeutendsten Extremisten der Stadt sind Stammgäste dort, also kein Geschmuse in der Wildnis, kein Geknutsche, keine schnelle Nummer. Der Koch hat sich allerdings sein goldenes Händchen bewahrt, das Lamm ist immer noch das beste der Stadt.«
»Worauf warten wir? Laßt uns essen«, sagt Malik.
Um mit den Fingern essen zu können, waschen sie sich die Hände mit heißem Wasser und Seife. Malik fällt auf, wie geschickt Jeebleh die besten Lammstücke verteilt, mit der Haltung eines Patriarchen, der einer Abendgesellschaft vorsitzt und dafür sorgt, daß jeder seinen Anteil bekommt und satt wird. Jeebleh wiederum bemerkt, daß Maliks Art zu essen, sich sehr von ihrer unterscheidet. Mit der flachen Hand formt er eine Art Schaufel, nimmt etwas Reis und etwas Fleisch und formt daraus ein Bällchen, von dem er abbeißt. Vielleicht essen sie dort, wo er ursprünglich herstammt, so.
Nach jedem zweiten Bissen preist Malik das Essen in den höchsten Tönen und lobt Cambara überschwenglich für ihren Vorschlag, Dajaal mit diesen Köstlichkeiten bei ihnen vorbeizuschicken. Nach dem Essen, während die anderen damit beschäftigt sind, das Geschirr zusammenzuräumen und abzuspülen, geht er in sein Zimmer und taucht mit einem Aufnahmegerät wieder auf. Wieder brodelt der Ärger in ihm, weil ihm klar ist, daß er alles mit der Hand schreiben muß, bis er einen neuen Laptop hat.
»Sag mal«, fängt er an, »wie kommt jemand auf die Idee, Äthiopien mit Einmarsch zu drohen und zu behaupten, die Armee der Gläubigen sei stark genug, den ganzen Weg nach Addis Abeba zu marschieren und es zu erobern?«
»Vielleicht weiß er etwas, das wir, die nicht in die Geheimnisse der Union eingeweiht sind, nicht wissen«, erwidert Gumaad großspurig.
Dajaal und Jeebleh schweigen.
»Was glaubst du, weiß er, was wir nicht wissen?« fragt Malik.
Gumaad vergleicht die Stellungnahme des Verteidigungssprechers der Union mit jener, die Saddam Hussein einen Monat vor dem zweiten Einmarsch der Vereinigten Staaten in den Irak abgab, in der er damit prahlte, daß Amerika sein Vorgehen bereuen würde. Überraschenderweise schwand die Republikanische Garde, die als die schärfste und bestausgebildete arabische Armee galt, dahin. Sobald die Vereinigten Staaten das Land eingenommen hatten, begann die Union ihren Aufstand gegen die Besatzung.
Gumaads Naivität
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