Gekapert
richtige Läden. Frauen verkaufen Tomaten und Zwiebeln aus großen Säcken, und das Ganze mitten auf einer ehemaligen Durchgangsstraße. Um den Besucher noch mehr zu verwirren, sieht man die unterschiedlichsten Gestalten umherschwirren, manche haben sich in Grüppchen zusammengefunden, albern herum, beobachten, einige spazieren mit einer Peitsche in der Hand umher und unterhalten sich mit Männern, die Gewehre tragen. Malik erinnert sich an das spanische Sprichwort, daß nicht jeder, der auf den Markt geht, auch einkaufen oder verkaufen will. Nie ist ihm das zutreffender vorgekommen, als hier auf dem Bakaaraha-Markt in Mogadischu.
Immer noch spielen die labyrinthischen Sackgassen des Marktes jene politische Rolle, die im algerischen Unabhängigkeitskrieg die Kasbah von Algier hatte. 1993, als die Marines nach StrongmanSouth fahndeten, brodelte es in der Gerüchteküche, der General halte seine Treffen offen in seiner Bastion in einem Keller des Bakaaraha-Marktes ab, er habe eine Hochzeit besucht, er habe in einer der größten Moscheen der Stadt seine Gebete verrichtet. In jüngerer Zeit, als die von den Vereinigten Staaten unterstützten Warlords 2006 eine vernichtende Niederlage erlitten, war der Beistand der Marktleitung entscheidend gewesen. Der Markt unterstützte die Union mit Waffen und Geld, das gab den Ausschlag zu ihren Gunsten. Der Bakaaraha-Markt ist durch seine Geschichte und das wirtschaftliche Potential ein höchst komplexes Gebilde. Da es keine staatlichen Institutionen gibt, die Steuern erheben oder einziehen, machen die Läden hier enorme Profite.
Maliks Recherchen vor seiner Reise haben folgendes ergeben: Der Bakaaraha-Markt ist 1972 während der letzten Tyrannenherrschaft entstanden; er fungierte als Alternative zum staatlichen Wirtschaftsgefüge und bot jenen Zuflucht, die gegen den Status quo opponierten. Jene, die diese Institution leiten, sind sich bewußt, daß derzeit der Krieg den höchsten Marktwert hat, selbst wenn an Frieden großer Bedarf herrscht. Hier auf dem Markt werden beide Waren zu exorbitanten Preisen gehandelt. »Wenn du unter Bürgerkriegsbedingungen lebst und Frieden nie erlebt hast, verändert sich deine Persönlichkeit, du entfremdest dich deinem wahren Ich, wie so viele von uns«, sagt Qasiir.
Je weiter sie vordringen, desto greifbarer wird die Aufregung um sie herum, eine von Triumphgefühlen verursachte Aufregung. Offenbar wirkt sich die Aussage der Union, sie würde »die Angreifer in dem Moment besiegen, in dem sie unseren Boden, muslimischen Boden, betreten«, bereits auf den Mob aus. Malik fängt Gesprächsfetzen auf, ein paar junge Männer sind begeistert von dem Gedanken, sich freiwillig zum Kampf zu melden, einer verkündet, er freue sich darauf, Feindesblut zu trinken. Malik fällt das Gehen schwer, seine Beine sind schwer, seine Stimmung gedrückt. In seinem Kopf schwirren zahllose Vorahnungen, die alle in eine ähnliche Richtung gehen: Gräßliches steht bevor, der Tod macht die Runde, Flugzeuge bombardieren Städte, Panzer rollen ostwärts, Kugeln, jede Menge Blut. Einige junge Männer scharen sich um einen Stand, dessen Besitzer anbietet, jeden, der sich freiwillig zum Kampf meldet, mit etwas Ähnlichem wie einer Uniform auszustatten, einem blauen Kampfanzug, auf dem vorn und hinten je ein Stern prangt. Malik sieht Dajaal am Rand der Gruppe stehen.
»Ich habe gehört, daß viele der Geschäftsleute weniger am Frieden als am Krieg interessiert sind und ihn auch finanziell unterstützen. Warum?«
»Sie müssen dann keine Steuern zahlen.«
Er wirft rasch einen Blick auf Qasiir, sieht allerdings kaum etwas, weil ihn die Sonne blendet. Blinzelnd bemerkt er, daß Dajaal wieder zu ihnen stößt. Ob seiner Meinung nach der Einmarsch der Union in die Garnisonsstadt bevorstehe, fragt er ihn.
»Krieg ist eine ernste Sache«, Dajaal scheint sich nicht auf einen Zeitpunkt festlegen zu wollen, weiß er doch, wie unberechenbar die Männer der Union sind, für die er nur Verachtung übrig hat.
»Aber unvermeidbar.«
»Es scheint so.«
Es fühlt sich an, als stünde an diesem Tag ein Orkan bevor. Niemand kann sich in Sicherheit wiegen. Dajaal, der seine Füße mit der Gewandtheit eines Sportlers setzt, überläßt Qasiir erneut die Führung und übernimmt die Nachhut, hält Ausschau nach ungewöhnlichen Aktivitäten, nach Männern mit Sturmhauben, die Tunikas tragen, deren Taschen groß genug sind, um darin Waffen zu verbergen. Er weiß, daß im Bakaaraha-Markt die
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