Gekapert
sagt sie.
Xalan hat Yusurs Namen nicht nur voll offensichtlicher Zuneigung ausgesprochen, sondern es schwingt auch ein Anflug von Belustigung mit, als verschweige sie ihm etwas, das sie ihm erzählen würde, wenn sie einander besser kennten.
»Kaum zu glauben, aber es stimmt«, sagt er.
Sie sieht ihm direkt in die Augen, als wäre sie bestrebt, die kleinste Andeutung von Unehrlichkeit zu entdecken. Mit Xalan trifft er die erste Frau, die Yusur fast ihr ganzes Leben lang kennt. Was wird sie ihm erzählen?
Aber Xalan bringt das Gespräch nicht auf Yusur. »Dein Somalisch ist ausgezeichnet«, sagt sie, »gut, daß du in Übung geblieben bist. Ich bin beeindruckt. Yusur sagt, du hast Taxliil Somalisch beigebracht, und er spricht es fließend. Du hast einen nördlichen Akzent.«
»Wir haben zu Hause wegen Taxliil immer Somalisch gesprochen.«
»Wie du bestimmt weißt, sprechen unsere Kinder es nicht so gut.«
»Es lohnt sich, es in ihnen beizubringen, wenn sie klein sind.«
Sie schweigen geraume Zeit.
»Denk darüber nach«, sagt sie.
»Wie bitte?«
»Falls der Service im Hotel gräßlich ist, das Essen ungenießbar, der Lärm unerträglich oder falls du dich dort nicht sicher fühlst, weil du nicht weißt, wo du dein Geld verstauen sollst«, sagt sie, »denk darüber nach. Du bist hier jederzeit willkommen, sollst dich hier zu Hause fühlen.«
»Ich werde darüber nachdenken, danke«, sagt Ahl.
»Die Küche hier hat jeden Tag geöffnet. Komm und iß mit uns.«
»Danke, ich weiß das zu schätzen.«
Einer ihrer Mundwinkel zieht sich amüsiert nach oben, dann schüttelt Xalan den Kopf, als wäre sie über sich selbst überrascht. »Würdest du gern bei uns wohnen?«
Er weiß nicht, was er sagen soll.
»Hier ist jede Menge Platz, und gemütlicher als in einem Hotel ist es sowieso. Unser Essen hier wird von der Köchin zubereitet, die ich schon in Mogadischu hatte. Es ist besser als das Zeug, das sie dir im Restaurant anbieten.«
Was sagt man in solch einem Fall? Er wird sagen, daß er darüber nachdenkt. In der Zwischenzeit wird er die beiden besser kennenlernen.
Hoffentlich mißfällt es Warsame nicht, daß er gemeinsam mit Xalan ißt. Es ist schwierig, abzuschätzen, wie ein Mann wie Warsame reagiert, ein Mann, der mit einer Frau verheiratet ist, deren Selbstvertrauen grenzenlos scheint, einer wahrhaft unerschrockenen Frau, ihrer selbst sicher und bereit, es mit der Welt aufzunehmen. Bei seiner Suche nach Taxliil wird sie sich hoffentlich als Aktivposten erweisen.
Sie hat das Essen aus dem Ofen geholt und auf den Tisch gestellt, das reinste Festmahl. Es ist soviel zu essen da, daß Ahl sich fragt, ob sie vorhat, eine ganze Armee zu verköstigen. Hühnchen, Lamm, Reis, Hummer, diverse unterschiedlich zubereitete Gemüse, Obstsäfte. Xalan legt ihm eine Riesenportion vor, sie selbst nimmt sich nur wenig. »Nicht, daß ich mir um meine Figur Sorgen mache, nein, das nicht. Bisher erfreue ich mich bester Gesundheit, Gott sei Dank«, scherzt sie.
Sie ist eindrucksvoll, der Hals lang, die Augen groß, und dank der schönen Zähne ist ihr Lächeln reizend. Sie ist Anfang Fünfzig, jede Bewegung ihres Körpers zeigt ihr Selbstbewußtsein. Er spürt, daß sie mit allem gut umzugehen weiß: mit unerträglichen Kindern, einem unerträglichen Ehemann. Er erinnert sich, daß Yusur ihm erzählte, Xalan, deren Name »Die Geläuterte« bedeutet, sei eine kühle, nüchterne Frau. Sie trägt das traditionelle guntino -Gewand, ein Umschlagtuch, und wie es der Brauch nur von verheirateten Frauen verlangt, hat sie das Haar bedeckt. Fast alles an ihr wirkt königlich: Die Art, wie sie geht, spricht, ißt, die Hände benutzt und die Finger in die Schüssel mit lauwarmem Wasser taucht. Yusur hat sie so beschrieben: »Wenn sie einen Raum betritt, überstrahlt Xalan das Sonnenlicht.«
»Es ist tragisch, daß sich unser Land bis zur Unkenntlichkeit verändert hat«, hört er Xalan sagen, »wenn man früher, in Vorkriegs-, in Vor qaat tagen, einen Freund zum Essen nach Hause eingeladen hat, war die gesamte Familie da, um den Gast zu begrüßen. Der Bürgerkrieg hat dem allem ein Ende gemacht, Hunderttausende haben das Land verlassen. In der letzten Zeit hat das qaat -Kauen massiven Tribut gefordert. Qaat ist der Zerstörer familiärer Normalität, der kostspielige Vernichter des sozialen Gefüges.«
Ihm ist klar, worauf sie hinauswill. Die Frustration einer Ehefrau, die beträchtliche Mühen in Kauf genommen hat, um ein gutes
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