Gekapert
Führungsausschusses der Union kurz nach der Bombardierung das Land verlassen haben, mit einem halben Bataillon äthiopischer Soldaten und ein paar Somaliern in Uniform, samt seinen äthiopischen Leibwächtern und Ratgebern bereits in der Präsidentenvilla eingetroffen. Was für ein tragischer Tag für Somalia und Äthiopien, denkt Malik, schreibt die Worte nieder und unterstreicht sie zweimal.
Er stützt sich auf seine Erinnerung an andere Städte, kurz bevor sie an feindliche Streitkräfte fielen: im Kongo, in Afghanistan und so weiter. »In den meisten Fällen dauert es lange, bis bei der normalen Bevölkerung, die es nicht gewohnt ist, Waffen zu tragen, der Appetit auf den Kampf geweckt wird. Ein Zaun hat zwei Seiten, und friedliebende Zivilisten bleiben auf jener Seite, auf der sie sich sicherer fühlen. Ähnlich wie Mädchen aus Ländern, in denen traditionell die Ehe arrangiert wird, werden sie mit dem Bewerber gehen, den man ihnen präsentiert.«
Mit erhobenem Kugelschreiber hält er inne und sinniert, wie später nach der endgültigen Besetzung eine Spur Zynismus in die Sicht der Menschen schleichen wird.
»Die Mogadischuer haben Warlords aller Couleur erlebt«, schreibt er, »die Erinnerung an dieses Trauma hat das Leid bagatellisiert, die Menschen abgestumpft. Für sie ist der äthiopische Premierminister nur ein weiterer Warlord, ein Ausländer zwar, aber deshalb nicht weniger grausam als die einheimischen Politiksadisten. Um sich weitere Greueltaten zu ersparen, wird die Stadt nicht mit offenem Widerstand auf seine näher rückenden Truppen reagieren. Wie ein mir bekannter ehemaliger Armeeoffizier vorhersagt, werden selbst Unionsanhänger die Äthiopier erst angreifen, wenn sie den Feind einschätzen können.« Aber dennoch sind die Somalier über den Einmarsch aufgebracht, führt er aus, einschließlich jener, die gegen die Politik der Union waren und sind. »Sie werden mit der erforderlichen Geduld auf den Tag der Vergeltung warten. Und wenn dieser Tag gekommen ist, werden sie im schmutzigen Straßenlabyrinth des Bakaaraha-Markts Freudentänze aufführen, singend um die toten Feinde tanzen, den Leichnamen Fußtritte versetzen und die Abbilder des Feindes verbrennen. Sie werden voller Freude an der Selbsterniedrigung ihre Seelen mit Rache vergiften. Die Welt ist nicht mehr, was sie einst war. Im übrigen haben die Mogadischuer schon einmal einen makabren, entwürdigenden Tanz um einen toten Marine aufgeführt, und nichts wird sie davon abhalten, das zu wiederholen.«
Er kennzeichnet den Artikel als »Entwurf«, druckt ihn aus und legt ihn einstweilen beiseite. Vielleicht kann er eine längere Reportage daraus machen. Schade, daß er hier in Mogadischu kaum normale Leute kennt. Aber mit Aufzeichnungsgerät, Kamera oder Mikrophon durch die Straßen zu laufen ist in einer Stadt, in der Journalisten Todesdrohungen ausgesetzt sind, keine gute Idee.
Er schenkt sich noch eine Tasse Kaffee ein und macht sich an den nächsten Artikel, über die Neigung besiegter Armeen, Städte zu zerstören, ehe sie diese verlassen, und die Gründe für dieses Verhalten. Ehe er zur Feder greift, arbeitet er den Artikel im Kopf aus, ruft sich ähnliche Fälle ins Gedächtnis, andere Menschen, andere Orte, über die er berichtet hat: den afghanischen Warlord Gulbuddin Hekmatyar, die kongolesischen Rebellenführer Laurent Nkunda und Germain Katanga. Der Kommentator von HornAfrik, Mohamed Elmi, gibt zu, ihn habe die »erwachsene Art und Weise beeindruckt, mit der die Union ihren Abzug geregelt hat«, und Malik ertappt sich dabei, wie er zustimmt. Mr. Elmi stellt sich vor, »daß es nicht leicht gewesen sein kann, jene Stadt zu verlassen, die sie erst vor sechs Monaten den Warlords entrissen haben. Jetzt mußte die Union die Stadt den Händen der grausameren Äthiopier überlassen. Getreu dem weisen Satz, daß Eltern ihr Kind, das sie lieben, nicht im Zorn schlagen sollen, zog die Union ab, ohne die Stadt zu plündern, aber mit dem Versprechen, zurückzukehren. Werden sie, wenn sie besser ausgerüstet zurückkehren, eben jene Menschen, die sie zu lieben behaupten, bombardieren?«
Das Telefon klingelt. Dajaal ist dran. Malik stellt ihm ein paar Fragen, vor allem will er wissen, was Dajaal davon hält, daß die Union die Stadt verlassen hat.
Dajaal läßt kein gutes Haar an der Union. »Als sie das erste Mal auf der Bildfläche erschienen, zogen sie mit Kanonen in die Stadt ein, angeblich, um die von den Vereinigten Staaten
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