Gekapert
anders – und wenn ja, für wen? Dann fällt ihm ein, daß Dajaal von einem explodierenden Sprengsatz verletzt worden ist. Und daß er, als es ihm nicht gelang, einen Arzttermin für Dajaal zu vereinbaren, seinen Presseausweis benutzt hat, sich als Journalisten ausgegeben hat, der die Opfer dieses unbarmherzigen Angriffs interviewen will. Um sein Ziel zu erreichen, behauptete er, die Äthiopier hätten diese Greueltaten zu verantworten, und bestimmt würde jemand diese gewissenlose Tat vor dem Internationalen Gerichtshof zur Anklage bringen.
Irgendwo klingelt ein Handy. Zuerst hört es sich so an, als klingelte es in seinem Kopf, wie ein Telefon in den Gedanken eines Träumenden – entfernt und doch ganz nah, hartnäckig, beharrlich insistierend, beinahe wie aus einer anderen Welt. Malik lauscht dem Klingeln, schert sich nicht darum, als gelte es jemand anders.
Dann wird ihm klar, daß das Klingeln vom Küchentisch kommt, wo er sein Handy zum Aufladen hingelegt hatte, ehe er in den frühen Morgenstunden eingeschlafen war. Schließlich begreift er, daß es sich um sein Handy handeln muß. Fluchend klettert er mit schmerzendem Kopf aus dem Bett und geht ran.
Cambara hat sehr schlechte Nachrichten. Dajaal ist tot.
»Wie, tot?« fragt Malik.
»Aus nächster Nähe von einem unbekannten Attentäter ermordet«, bringt sie schließlich heraus. »Ich habe erfahren, daß der Mörder die Handfeuerwaffe mit der größten Durchschlagskraft benutzte, die auf dem Markt ist – ich kann mich an den Namen nicht erinnern, aber Bile meinte, der Einsatz einer derartigen Waffe sei buchstäblich Overkill.«
Malik will wissen, wann es passiert ist, als ob das etwas mit Dajaals Tod zu tun hätte. Als er nach seiner Armbanduhr sucht, überfallen ihn Schuldgefühle. Er wünscht, er wüßte, ob Dajaal genau zu dem Zeitpunkt umgebracht wurde, als er träumte, er würde ihn im Krankenhaus besuchen, ganz so, als würde das seine Selbstvorwürfe beeinflussen. Dajaals Tod habe sich im Morgengrauen ereignet, erzählt Cambara, als er auf dem Weg in die Moschee war. »Keiner kann sich daran erinnern, daß Dajaal jemals zum Gebet vor Sonnenaufgang in die Moschee gegangen wäre«, fügt sie mit tränenerstickter Stimme hinzu.
Auf Maliks Uhr ist es beinahe elf.
»Wann ist die Beerdigung?« fragt er.
»Er wurde bereits begraben«, sagt Cambara.
Malik kann es nicht glauben. Als er die Sprache wiederfindet, überstürzen sich die Wörter, seine Gedanken können nicht mit der Sprechgeschwindigkeit mithalten. »Dajaal ist im Morgengrauen gestorben. Warum die Eile?« fragt er.
»Weil die Waffe, die der Attentäter benutzt hat, durch die hohe Durchschlagskraft ihr Opfer zerfetzt, es mit gewaltiger Kraft zerreißt. Angesichts des Zustandes, in dem sich sein Körper befand, schien es am besten, ihn umgehend zu beerdigen.«
»Ob sein Tod vielleicht als Lehre für uns alle gedacht war?«
»Entweder man haßte Dajaal oder man liebte ihn«, sagt sie.
»Seine Familie und seine Freunde liebten ihn.«
»Wir werden ihn vermissen, Bile und ich.«
Ein seltsames Erschrecken packt Malik bei der Kehle und macht ihn sprachlos. Ihm geht so vieles durch den Kopf, aber seine Zunge weigert sich, die Wörter loszulassen.
»Bist du noch da?« fragt Cambara.
Sein »Ja« ist kaum hörbar.
»Qasiir hat sich um alles gekümmert«, erklärt sie. »Er schickte die Totengräber am frühen Morgen los, rief den Imam an, damit dieser das Dschanaza-Gebet sprach, die Gemeinde, um die Leiche für die Bestattung herzurichten, lieh die Bahre aus und organisierte die restlichen Begräbnisriten.«
»Ich frage mich, warum er mich nicht angerufen hat«, sagt Malik.
»Er hat gesagt, daß er es versucht hat«, sagt sie, »aber niemand nahm ab.«
»Wo soll das alles noch enden?« fragt Malik.
»Ich bezweifele, daß es jemals aufhören wird«, gibt Cambara zurück.
»Haben wir eine Ahnung, wer ihn umgebracht hat?«
»Bile war derjenige, der ans Telefon ging«, sagt sie, »er bat dann Qasiir, zu uns zu kommen, und die beiden schlossen sich längere Zeit im oberen Schlafzimmer ein. Ich wurde nicht eingeweiht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand anderes als die Al-Schabaab dahintersteckt. Und du kannst sicher sein, Dajaals Ermordung wird zu weiterem Blutvergießen führen.«
»Wenn Qasiir noch da ist, würde ich gerne mit ihm reden«, sagt Malik.
»Er ist schon weg, und Bile hat sich hingelegt«, erwidert sie.
Malik fühlt, wie sich in seinem Körper die
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