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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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könnte.«
    Malik stimmt Ahls Logik nicht unbedingt zu. Aber er entschließt sich zu schweigen, besorgt, sein Bruder könnte annehmen, berufliches Fortkommen sei für ihn wichtiger als die Familie.
    »Es war ein langer, ereignisreicher Tag«, sagt Ahl.
    »Du hast recht, lang und ereignisreich.«
    »Schlaf darüber und laß uns morgen reden«, sagt Ahl.
    »Gute Nacht.«
    »Dir auch.«

D er Himmel ist dunkel, die Nacht sternenlos. In seinem Traum wagt sich Malik seit vierundzwanzig Stunden zum ersten Mal aus der Wohnung. Er macht sich zu Fuß auf den Weg zum Krankenhaus; Dajaal ist unpäßlich. Straßenminen, Panzer und die vier Tage währenden Kämpfe zwischen den Aufständischen und der äthiopischen Besatzungsarmee haben die Straßen unpassierbar gemacht.
    Schließlich erreicht er das zerstörte Krankenhaus, das Hauptgebäude wurde getroffen und ist ein Trümmerhaufen. Radioberichte sprechen von fünfhundert Toten und über tausend Verwundeten, die sich in kritischem Zustand befinden. Unter den Toten und Vermißten sind viele Angehörige des Krankenhauspersonals, vielleicht sind sie unter den Trümmern begraben. Links vom Haupteingang veranstaltet eine riesige Menschenmenge einen schauerlichen Krach. Malik braucht ein paar Minuten, bis ihm der Grund für den Aufruhr klar ist. Die verbliebenen somalischen Ärzte und einige Europäer, zweifellos von der Weltgesundheitsorganisation zu enormen Kosten eingeflogen, sind mit einigen bärtigen Al-Schabaab-Typen in eine Diskussion verwickelt, die hitzig hin und her wogt. Es geht darum, ob Hunde bei der Rettung der unter den Trümmern des Krankenhauses verschütteten Menschen eingesetzt werden dürfen. Ein Doppelgänger von Gumaad hält den Einsatz von Hunden, um Menschen aus den Ruinen zu retten, für eine Verletzung muslimischen Zartgefühls. Als predigte er von der Kanzel, sagt er zu den Europäern: »Hunde sind unrein, und uns als Muslimen ist es verboten, mit ihnen in Berührung zu kommen.«
    Von unten, inmitten der Ruinen, ist Geschrei zu hören. Ein Mann fleht, jemand möge seine Tochter retten, die unter den Trümmern liegt. Er möchte, daß die Spürhunde eingesetzt werden, um seine Tochter lebend herauszuholen.
    Das Team der WHO wird von einer großen Frau mit rotem Gesicht, rotem Haar und einer Haut, die sich bei Ärger und unter tropischer Sonne gern rotebeterot verfärbt, angeführt. »Ich schlage dich zusammen, wenn du mir nicht aus dem Weg gehst, um mich die Arbeit machen zu lassen, wegen der ich hergekommen bin!« brüllt sie Gumaads Doppelgänger an. Durch ihren Ausbruch eingeschüchtert, gibt er klein bei und verläßt lautlos den Schauplatz.
    Mittlerweile hat sich ein anderer Angehöriger des Krankenhauspersonals mit einem der Bartträger in ein Wortgefecht verstrickt. »Glauben Sie, daß der Islam Friedhofsschändungen duldet, wenn die Toten Christen waren? Ich finde die Schändung des christlichen Friedhofs von Mogadischu verabscheuungswürdig und halte das für ein schlimmeres Verbrechen, als mit Hilfe von Hunden ein Kind lebend aus den Trümmern zu ziehen. Sie werden sich am Jüngsten Tag vor dem Allmächtigen dafür verantworten müssen, daß Sie christliche Leichen geschändet und entweiht haben. Ich bin überzeugt, daß uns vom Göttlichen alles vergeben wird, solange wir Leben retten. Und ich stimme Ihnen keineswegs zu, daß der Islam den Einsatz von Hunden zur Rettung menschlichen Lebens verbietet.«
    Der Streit geht weiter, und Malik bewegt sich in Richtung der Häuschen weiter, die über ein Gebiet von eineinhalb Hektar verstreut sind. Da das Hauptgebäude zerstört ist, dienen nun diese Häuschen als Krankenhaus. Der Anblick ist erschütternd, überall liegen Verwundete auf dem Boden, die sich in Schmerzen winden, weil es weder Morphium gibt noch genügend Ärzte und Schwestern, die sich um sie kümmern könnten. Die Uniformen der Krankenschwestern sind blutgetränkt.
    Eine Krankenschwester, der das Blut von den Händen tropft, bittet Malik, ihr den BH zu öffnen, weil es der einzige sei, den sie besitze. Befangen schlägt er vor, sie solle sich umdrehen, damit er den Verschluß auf ihrem Rücken öffnen könne. Die Häkchen befinden sich jedoch vorn. Er kann sich nicht erinnern, jemals so lange für das Öffnen eines BH s gebraucht zu haben. Der Schweiß bricht ihm aus, rinnt ihm über die Stirn in die Augen.
    Er erinnert sich, daß er einen Termin bei einem Arzt hat, aber nicht, weshalb. Ist er selbst krank oder sucht er Hilfe für jemand

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