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Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Titel: Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svetlana Sekulic
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den langen, schwarzen Mantel nicht aus den Augen
verlierend. Der dunkle Stoff begann sich zu bewegen, das Schwarze
geriet in weiter Entfernung, das Dunkle wurde zunehmend unklarer,
verfremdete sich und ließ nur noch eine skizzenhafte
Schattierung erkennen. Nicola drehte sich zu dem Wohnhaus hinter
sich, blickte auf die Hausnummer, besann sich wieder seiner Arbeit
und entfernte sich mit dem lähmenden Gefühl des grauen
Briefkastens im Rücken. Er rückte seine dunkelblaue
Posttasche zurecht und beeilte sich, den korrekten Weg aufzunehmen,
nicht ohne einen neugierigen Blick in die andere Richtung geworfen zu
haben, wo kein winziges, dunkles Pünktchen zu entdecken gewesen
wäre. Nicola kam wie immer pünktlich in die Mittagspause;
bekam wie immer seinen Mittagstisch für 4 Rubel inklusive
Tagessuppe und kippte wie gewöhnlich sein Bier und seinen Wodka
hinunter und verließ, wie immer sehr souverän die
Bahnhofskneipe gegenüber des Postamtes und doch ging Nicola an
diesem Tag mit einem dumpfen Gefühl im Magen seine Straßen
entlang, blickte auf den verschmutzten Boden, schaute an Passanten
vorbei, ließ den von Blättern übersäten Boden
unter sich dahin gleiten, ließ die Leute an sich vorbei
huschen, ohne wirklich den Boden gespürt und die Menschen neben
sich bemerkt zu haben.

    `Auf
Wiedersehen, bis morgen dann`, sein Kopf drehte sich zum langen
Korridor, in einer unbewussten Erwartung hin, doch er sah nichts, er
sah nicht das, was er zu sehen erwartete. Nicola trat nach draußen,
gedanklich noch drinnen in der Anstalt bei den Andersartigen, bei der
giftgrünen Mütze, dem giftgrünen Auge und bei der
zierlichen Gestalt. Die Tür schloss sich hinter ihm zu, die
Grenze zwischen normal und nicht so recht normal wurde gezogen,
unwillkürlich; er spürte die kalte Luft im Gesicht, er
fühlte einen Windzug im Nacken; es war niemand in seiner Nähe
und doch wusste er sich nicht allein; seine Finger klammerten sich an
der dunkelblauen Posttasche fest, auch wagte er sich nicht umzudrehen
und schritt schnellen Schrittes den schmalen Weg entlang, angespannt,
entlang des kalten, breiten Flusses zu seiner Linken. `Entschuldigen
sie bitte, sie sind doch der Briefträger`. Nicola erkannte die
Stimme, er hatte darauf gewartet und er hatte damit gerechnet.
`Entschuldigen sie bitte,` er spürte ihre Hand um seinen
Ellenbogen, er bemerkte ihren schlanken Körper neben sich, er
fühlte sich von dem giftgrünen Auge fixiert und er spürte
ihr zufriedenes Lächeln in dem blassen Gesicht. Nicola schritt
den nebligen Weg entlang, er sah in trüber Ferne den unruhigen
Fluss dahin strömen und er rückte seine dunkelblaue
Posttasche zurecht. `Darf ich sie ein Stück des Weges
begleiten?` Nicola konnte ihr nichts abschlagen, hätte aber
korrekt zu arbeiten gehabt, hätte sich auf seine Arbeit zu
konzentrieren und hätte seines Weges zu gehen, seiner
ordnungsgemäßen sachlichen Arbeit nachzugehen gehabt und
konnte ihr doch nichts abschlagen, hätte ihr nie etwas
abzuschlagen vermocht. Er fühlte die bunten und schwarz
gefleckten Blätter unter seinen Füßen, er sah das
Laub unter seinen schweren Schuhen langsamer verschwinden, bis die
Blätter sich nicht mehr bewegten. Nicola deutete auf eine dunkel
angestrichene Bank, er sah ihr stummes Lächeln und streifte
seine dunkelblaue Posttasche von der Schulter, wischte einige Blätter
von der Bank und wies der Frau, neben sich, an zu setzen. `Warum sind
wir stehen geblieben?´ Ihr Blick schweifte zu dem strömenden
Fluss. `Ich dachte, dass wir, nun ich dachte, vielleicht könnten
wir uns für einen Moment setzen.` Nicola spürte ein
Unwohlsein und die Hitze im Körper aufkommen. Die junge Frau
tastete sich an der dunkel angestrichenen Bank entlang. `Eine gute
Idee, vielen Dank, setzen sie sich zu mir.` Unsicher rückte
Nicola seine dunkelblaue Tasche von sich fort und nahm mit einem
tiefen Atemzug der Erleichterung neben ihr Platz. `Sie müssen
meine Dringlichkeit entschuldigen, aber es ist, weil, nun, sie haben
eine äußerst sympathische Stimme und sie sind Briefträger,
tragen doch Hoffnungen und Wünsche mit sich.` Nicola versuchte
sie anzuschauen, versuchte ihr giftgrünes Auge aufzunehmen, doch
sie starrte gebannt auf den unruhigen Fluss vor ihnen. Er beugte sich
weit nach vorne, um ihr blasses Gesicht zu erfassen. `Meine Schwester
war auf der Suche ein Leben lang, nach menschlicher Gerechtigkeit`,
sie hatte die giftgrüne Mütze auf, Mahagoni farbige Haare
waren zum Teil sichtbar,

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