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Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Titel: Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svetlana Sekulic
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könnte für ein ordentliches
Leben mit ihr und seinem Kind. Aber er schaffte es nicht. Er schaffte
nicht das Gegenteil herbei. Er schaffte es nicht seine wahren Wünsche
sich zu erfüllen. Er bemerkte nur, dass er eine schwarze Seele
besaß und es somit nicht verwunderlich gewesen wäre. Er
warf alles auf sein düsteres Wesen zurück und sein düsteres
Wesen rechtfertigte sich davor, sich rechtfertigen zu wollen. Er
brauchte niemanden und er konnte nichts. Dabei liebte er die
Gerechtigkeit und hasste von tiefstem Herzen die Ungerechtigkeit,
aber er konnte es bei sich selbst nicht ausmachen. Vor allem nicht in
solchen Momenten, wenn ihn Leila, wie damals anflehte, dass er
wieder mit ihr lachen und sie mit Rosenmilch eincremen und nicht
beiseite stoßen sollte mit seiner Düsterkeit. In solchen
Momenten ahnte Nicola, dass sie vollkommen recht hatte, aber er
konnte nichts ändern, er konnte sich nicht bewegen, nicht seine
Lippen, nicht seine Füße und am allerwenigsten seine
Hände, die ihn zu einer Umarmung verhelfen würden. Er war
lädiert. In der Kindheit traumatisiert. Wahrscheinlich durch die
nicht vorhandene und nicht gestrickte Unterhose seiner weggelaufenen
Mutter und schaffte es deswegen nicht lange, ordentlich Briefe und
Pakete zu verteilen. Vielleicht konnte er es auch nicht mehr
ertragen, soviel Hoffnung bei sich zu tragen und die Menschen weit
und breit damit zu enttäuschen. Er wusste sich selbst, als die
größte Enttäuschung in diesem Lande und es war
besser, sich von dieser Umwelt fern zu halten. Er verkroch sich. Er
verkroch sich in der Höhle unter seinesgleichen. Nachdem er
seine dunkelblaue Posttasche nicht mehr fand, schaffte er es auch
ohne Briefe und Pakete jeden in seiner Umgebung zu enttäuschen,
nichts mehr zu finden und nichts mehr sinnvolles zu suchen. Und als
er das bemerkte, fing er an, sich nur noch in schwarz zu kleiden, als
wäre er der Trauernde schlechthin, von der großen brutalen
Welt verlassen und verstoßen. Dabei hatte er die Welt selbst
und freiwillig verlassen, denn er brauchte nicht die Welt um sich
herum und auch keinen Menschen mehr darin. Er fühlte sich
vollkommen zufrieden, inmitten dieser Kälte und des
Trauerregens. Er benötigte keinen Regenschirm darin. Er war
immun. Immun gegen Nässe, Kälte und Ablehnung. Die
Regentropfen, sie bewegten ihn nicht wirklich und sie bewirkten auch
nichts bei ihm. Weder ein emotionaler Trauerakt, noch ein eisiges
Kältegefühl. So schritt er pitschnass durch die kalte
Nacht, mit dem Gesicht zu Boden gerichtet. Es interessierten ihn auch
nicht die Gebäude, die Häuser, die Gegenden und die Läden
um ihn herum. Was war so toll daran, dass er hätte aufblicken
müssen. Er verstand nicht, warum es Reisegruppen, Touristen,
neugierige Menschen mit Fotoapparaten in seiner Stadt gab, die
fragend an der russischen Infrastruktur hochblickten. Was gab es da
besonderes zu sehen. Was interessierte es den Menschen, was andere
Menschen gebaut hatten. Sah nicht alles wie ein und dasselbe aus? War
nicht im Prinzip jede Stadt einer anderen ähnlich. Mag sein,
dass es hin und wieder ein besonderes Denkmal gab, ein Hinkucker,
aber gab es das nicht überall, wenn man zu genüge die Augen
aufsperrte und unbedingt was sehen wollte? Warum nur konnten sich
Menschen für kahle, emotionslose Gebäude begeistern? Nicola
interessierte keine Stadt und kein Land im besonderen. Es war sich
alles gleich. In jeder Stadt und in jedem Land gab es Menschen und es
gab Straßen und es gab Häuser. Was also sollte ihn
beeindrucken, wenn ihm der Mensch an sich gleichgültig war. Die
Natur gefiel ihm noch am ehesten. Der Tages- und Nachtwechsel, die
Jahreszeiten und der beständige Wechsel darum. Das
Vogelgezwitscher und das Klopfen der Regentropfen an seinem Fenster.
Das war es auch schon. Und die Angst ist geblieben. Die Angst davor,
nicht zu wissen, was einem drüben erwartet. Also hängt man
an dem fest, was einem bekannt ist. Es wird nicht einfach so los
gelassen und in das Ungewisse hinüber gewandert. Deshalb wählt
Nicola nicht den Tod und hat trotz Gleichgültigkeit dem Leben
und allem was das Leben einem anscheinend so bietet, sich für
das Leben weiterhin entschieden. Und so ging er die Straßen
entlang, ohne sich zu bemühen, ohne einen Blick des für ihn
nicht Notwendigen, des Nichtssagenden rechts und links von ihm
Erstandenen zu werfen. Sein Kopf war gen Boden gerichtet und das
gefiel ihm. So konnte er den Dreck beobachten, der unter seinen Füßen
zerrann.

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