Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)
Teufel in mir verbannen. Nicola schreibt
und schreibt und die Matratze knarrt und stöhnt und wackelt und
schreit. Olga glaubt ihn schlafen. Olga, keine Christin in dem Sinne.
Nicola auch kein Heiliger in diesem Sinne. Ein gnädiges
Dankeschön dem Unaussprechlichen. Wird sich Olga noch letzten
Endes bei Vitali bedanken? Tastatur auf dem Klavier. Sonette 23. Nie
gekannt und doch gespielt. Verzehret in ihnen, in den Gedanken, dem
Sinne nach, vorwärts, nicht nach hinten blickend. Scham
überkomme euch, ihr torlose Torheit. Vorwärts, voran.
Grüsset Gott, den Bekannten. Guten Tag, du schöner Psalm,
frohlocket den Engelein und tanzet ach so fein, herein, herein,
herein. `Ach, du bist´s Olga.` Nicola schaut auf das weiße,
verdorbene Papier vor sich. Was für ein Narr ich doch bin.
Meinem Sohn wollte ich schreiben, ihm alles erklären, was es zu
erklären gibt, stattdessen schreibe ich Unsinn auf. Nicola steht
auf, nimmt das Papier und zerreißt es in tausend Fetzen,
schmeißt sie aus dem Fenster, aber nicht einmal der Wind will
sich diesem Unsinn annehmen und trägt seine Verzweiflung nicht
von dannen; und so fallen die tausend Fetzen plump nach unten, auf
den dreckigen Boden eines Hinterhofes herab. Olga steht hinter ihm
und lacht, so laut sie nur lachen kann, um sich dann von ihm
abzuwenden und in ihr Bett zu gehen. Ihr Lachen hallt in seinem Ohr
noch nach. Ihm fällt ein, dass sein Lachen ganz anders klingt.
Es klingt schrecklicher. Er hat es eines Tages, vor langer Zeit
selbst festgestellt. Eigentlich war es gut, dass er es selbst
feststellen konnte und es nicht von irgend jemandem gesagt bekam.
Aber es änderte nichts daran, dass sein Lachen einfach nur
schrecklich klingt. Und er überlegt, dass er das Lachen auch
nicht verstellen kann, nicht so, wie er die Stimme oder eine
Gefühlslage bewusst verändern und einsetzen könnte. So
wird nun sein Lachen auf ewig schrecklich klingen, aber gut, dass es
nichts mehr zu Lachen gab, nicht jetzt und nie mehr wieder in seinem
Leben und er überlegt weiter, wie er seinem Leben ein Ende
setzen kann und weiß gleichzeitig, dass er dazu die Kraft
wieder nicht haben wird. Er geht in die Küche, um weiter zu
trinken und um das Fenster zu öffnen, damit der Geruch des
Verdorbenen weichen kann und die kalte, von tausend Fetzen zersetzte
Luft befreiend einatmen kann.
Und so
setzt er sich auf den Küchenstuhl und das Fenster bleibt die
lange Nacht geöffnet und Nicola fällt in einen Schlaf, der
ihn in einen Traum versetzt, in den wunderschönen Traum, als er
zum ersten mal seiner Leila begegnete und darüber freute er sich
sehr, er freute sich, heute Nacht diesen Traum erleben zu dürfen,
denn er wusste, er hatte sie in Wirklichkeit nicht besitzen und nicht
halten können und für immer verloren, aber in seinem Traum,
durfte er sie auf ewig behalten und sie küssen und sich an sie
schmiegen.
Er öffnete
die Anstaltstür der Irrenanstalt der Vorstadt von Sankt
Petersburg und es öffnete sich im eine fremde Welt, eine
eigenartig, eigensinnige Welt. Ein seltsames Terrain mit
unergründbaren Irrwegen, auch Wege einer menschlichen Unkenntnis
oder des nicht greifbaren Wissens. Nicola kannte die verschlossene
Andersartigkeit von montags bis freitags zwischen 9.30 Uhr und 10.30
Uhr, denn Nicola war Briefträger. Nicola Brkc, unverheiratet und
noch kinderlos, eben ein zuverlässiger Briefträger der
Vorstadt von Sankt Petersburg; er schlug mit dem notwendigen
Enthusiasmus den Weg des Briefträgers ein, um Post aus aller
Welt korrekt und sachlich zu verteilen. Nicola mochte seinen Beruf,
er machte den Menschen Mut, konnte ihnen aber auch jegliche Hoffnung
rauben, ein stupider Satz, ein unüberlegtes Wort, das er in
seiner dunkelblauen Posttasche transportierte, konnten Leben
hemmungslos auslöschen. Nicola war sich seiner dramatisch,
tragischen Funktion durchaus bewusst und doch lief alles zielsicher
und gerade ab, da Nicola die Straßen sehr souverän und
gerade ablief, die er eben abzulaufen hatte. ´Guten Morgen`.
Nicola grub in der dunkelblauen Posttasche einen Stapel Briefe
hervor. `Morgen Nicola, danke schön, so ein Hundewetter heute,
nicht?´`Ja, ein Hundewetter heute und einen schönen Tag
ihnen noch`. `Immer zu einem Scherz aufgelegt unser Nico`. Die Dicke
hinter dem Empfangsschalter kicherte mit vorgehaltener Hand zu ihrer
noch dickeren Kollegin, die vor der Schreibmaschine saß und
gezwungen mit in das Gekicher einstimmte. Nicola verschloss
sorgfältig seine dunkelblaue
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