Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)
heißer Brühe, trotz schwarzem Kaffee.
Gestern
war ein Tag. Gestern war sein Geburtstag. Wage konnte sich Nicola
noch daran erinnern, aber vor allem erinnerte er sich an seinen Sohn.
Er dachte jeden Tag an ihn, auch wenn man es ihm nicht ansah. Was
konnte man auch an einem Gesicht erkennen, wenn man nicht fähig
war in ein Herz zu schauen. Es stand nichts in seinem Gesicht
geschrieben. Es war eine Maske. Er trug diese Maske mit dem festen
Willen, sie nie wieder abzunehmen. Des nachts schrieb er Briefe an
ihn, an seinen Sohn, an sein kleines Kind und bat ihn um Verständnis
und um Verzeihung und zerriss sie alle wieder und warf sie in die
schwarze Nacht hinaus. Dort flogen sie davon. Und das war gut so,
denn seine schwarze Seele konnte er nicht einfach so zerreißen
und aus dem Fenster werfen. Er kannte nicht mal seine Adresse, er
wusste nicht, wie sein Sohn mittlerweile aussah. Er konnte sich nur
vage an sein kindliches Gesicht erinnern. An seine Augen. An seine
fragenden, traurigen Kinderaugen. Er konnte ihnen nicht standhalten.
Schnell hatte er sich von ihnen abgewandt. Schnell hatte er sich
umgedreht und die Tür vor sich geöffnet. Viel zu schnell
hatte er sie wieder hinter sich geschlossen und wäre beinahe
draußen gestolpert. Inmitten der klaren Luft und in die pure
Freiheit hinein gestolpert. Aber gut, dass er sich noch rechtzeitig
abfangen und an einer Straßenlaterne festhalten konnte. Gestern
wurde gefeiert, sein Geburtstag und er wusste nicht einmal wieso er
mitgefeiert hatte, denn im Prinzip hatte er nichts mehr zu feiern,
seit damals, seit er den Teufel wieder in sich gelassen hatte, seine
Leila für immer verlor und seinen Sohn nie wieder sah. Aber das
neue Leben fängt an mit dem Abschied vom alten. Und das Jahr für
Jahr. Mit jedem weiteren Geburtstag. Aber so fragte sich Nicola, was
das neue Leben beinhalten sollte, mit dem Abschied vom alten. Es war
doch stets dasselbe. Nichts hat sich wirklich verändert, außer
dass er ein paar Falten mehr dazu bekam, die man wegen des vielen
Fettes nicht einmal richtig erkennen konnte; nur er selbst fühlte
sie ganz tief unter seiner Haut. Spürte seine Haare von Jahr zu
Jahr dünner und weniger werden. Er wurde mit Sicherheit nicht
schöner mit jedem seiner Geburtstage, auch wenn er einmal gut
aussah und von den Göttern geliebt wurde. Das hörte mit
einem Schlag auf oder aber es schlich sich langsam ein, ohne das er
es bemerkt hätte. Seit diesem Tag fragte sich Nicola an jenem
Morgen, warum es Geburtstage überhaupt noch gab und weswegen er
je wieder etwas zu feiern haben würde. Alles wurde zu einer
abgedroschenen Oper. Nicola hatte sich das selbst ausgesucht. Er
wurde selbst Protagonist seines eigenen Spektakels. Er begab sich in
sein Zimmer, zu seinem Tisch. Er steht und sitzt an einem kleinen
Tisch. Berührt weißes, unschuldiges Papier. Neben dran ist
es verrucht, drinnen wie draußen schwarz, um ihn herum nur
verdorbene Nacht. Nicola taucht ein. Ein eintauchen in eine andere
Form des Seins, fernab der Realität. Er könnte sich auch in
Alkohol vertiefen. Aber darin ist er bereits versunken. Er hat genug
getrunken, gemäß seiner Feier. Er schwebt über dem
weißen Papier und versucht etwas hinzubekommen. Es sind seine
eigene nur ihm gehörende Fantasien auf den Punkt gebracht. Es
ist seine eigene Auslieferung dem anderen Ich und seinem eigenen
Schuldbewusstsein gegenüber. Die Matratze knarrt. Nebenan. Seine
Olga ist nebenan, aber nicht allein mit sich. Das Bett knarrt nicht
automatisch von alleine. Nicola spendet sich Applaus, er kommt gut
voran mit dem Schreiben. Er hat schon das Wort Fjodor aufgeschrieben
bekommen. Immerhin ein Wort, das auch das letzte sein wird. Applaus
für die Kraft, der Dimension der Bücher, der Verse und der
Entschuldigungsbriefe. Ein Halleluja eines jeden geschriebenen
Wortes. Es ist sein dritter. Sein drittes Halleluja. Und sein
Fünfzigster heute. Deshalb die Feier, mit Olga und drei seiner
Arbeitskollegen. Zwei davon sind bereits gegangen. Einer ist noch
geblieben, liegt wahrscheinlich oben auf Olga oder sitzt sie oben
drauf? Nicola überlegt. Seine Hand sollte schneller machen,
denn: Schriftsteller oder auch nur Briefschreiber, schreitet voran.
Stellt euch den Schriften, den Bitten. Eure Hand, sie leitet euch.
Wehret ihr nicht, denn sie ist das Reich des Unaussprechlichen.
Hoffet und betet für die Armen, den Wortkargen, den Bettlern
unter euch. Was für ein Blödsinn. Ich sollte nicht mehr
soviel trinken und diesen
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