Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)
Posttasche und öffnete die
Anstaltstür, nicht ohne einen verstohlenen Blick auf die
Gestalten hinter sich geworfen zu haben, die abseits des langen
Korridors hervortraten, um schnell wieder hinter den Türen zu
verschwinden. Komische Vögel, dachte Nicola, als die Tür
von selbst hinter ihm zufiel. Er zog sich seine Briefträgermütze
noch tiefer ins Gesicht, hatte sich der anfängliche Nieselregen
in einen klirrenden Hagel verwandelt. Im dritten Stock sitzen die
aussichtslosen Fälle. Bei diesem Gedanken lief ihm ein eisiger
Schauer über den Rücken. Was in deren Köpfe wohl vor
sich gehen mag. Mit einem mal sitzt unser einer in der Irrenanstalt
und kommt nie wieder heraus. Nicola beeilte sich die restlichen
Straßen abzulaufen, um so schnell als möglich seine
dunkelblaue Posttasche beim Postamt an der Bahnhofsstraße
abzugeben und um in die ersehnte Mittagspause gehen zu können,
die montags bis freitags in der Bahnhofskneipe an der Bahnhofsstraße
von 12.30 Uhr bis 13.15 Uhr stattfand.
`Heute
scheint doch wenigstens die Sonne`. `Ja, die Sonne`. Nicola wollte
gerade gehen, er hielt den Türknopf in der Hand, als er einen
Druck auf seiner Schulter spürte. `Entschuldigen sie`. Nicola
drehte sich erschrocken um, in Gedanken draußen, gedanklich
bereits bei der Snezanastraße, vorbei an überwuchernden
Hecken, die selbst in der kalten Jahreszeit nicht aufhören
wollten zu wuchern, vorbei an ungepflegten Gärten und vorbei von
Menschen bewohnten Häusern. `Entschuldigen sie, dürfte ich
sie einige Meter begleiten`? Nicola wollte schon etwas sagen, was man
in einer solchen Situation zu sagen pflegte, man war doch sehr in
Eile und eigentlich ohne Zeit und überhaupt, aber da hatte sich
ein Arm unter seinem Arm geschoben, energisch entschieden, nicht
abgewiesen zu werden. Die Tür fiel automatisch hinter ihnen zu,
so dass ihm keine Möglichkeit blieb, als des Weges zu gehen, auf
eine Erklärung hin aber abwartend. `Entschuldigen sie bitte, sie
sind doch der Briefträger`? `Ja, wieso´? Nicola musterte
die Frau mit dem blassen Gesicht neben sich, die so zerbrechlich
wirkte und die Haare unter einer großen giftgrünen Mütze
versteckt hatte und mit energischen Schritten seiner schnellen
Gangart beikam. `Ich weiß, dass sie jeden Tag zu uns kommen,`
ihr Arm hakte sich fester bei ihm ein, sie blickte geradeaus, mit
einem erleichterten Lächeln, `sie machen uns allen eine Freude
hier, es ist schön, wenn sie zu uns kommen mit der vielen Post,
um Freude uns zu bereiten.` Nicola wollte sich in ersichtlichen Stolz
wiegen, als ihm zweifelhafte Gedanken aufkommen. `Sind sie jemanden
besuchen oder selbst da drin, ich meinte, nun, ach nichts.` Beschämt
über die ausfallende Dringlichkeit seiner Frage, drückte er
die dunkelblaue Posttasche enger an seinen Körper, senkte den
Blick, versuchte sich auf die gelb, rot, braun und schwarz gefleckten
Herbstblätter zu konzentrieren und spürte gleichzeitig den
nachlassenden Druck ihrer Hand auf seinem Arm. Welche Art von
Kurzschluss vermag das plumpe Ansprechen des Irrsinns auslösen?,
dachte Nicola schnell atmend in dem naiven Bewusstsein, einen nicht
mehr gut zu machenden Fehler begangen zu haben; so viel Laub auf dem
Boden, ausgedient und verwelkt. Gewichtiger trat Nicola mit den Füßen
auf, vielleicht auch um ein Geräusch zu erzeugen, das die Stille
zu übertönen vermochte. `Meine Schwester ist hier´,
ihre sichere Stimme schien hastig, ein wenig schreckhafter, glaubte
Nicola zu erkennen. `Ich komme meine Schwester besuchen, jeden Tag,
seit Jahren, ja und die Blausäure ist ein Freund oder doch der
Feind, was meinen sie`? Nicola erkannte eine Seitenstraße,
blieb vor einem Wohnhaus in der Ruzastraße stehen, schaute auf
die Unbekannte neben sich, schaute ihr erstmals in die Augen, ihre
giftgrüne Mütze war weit ins Gesicht gezogen und doch
stellte Nicola an ihr dieselbe giftgrüne Augenfarbe an einem
Auge fest. Irritiert darüber, kamen seine Worte fast zwingend,
`Ich muss da hinein, hab noch zu arbeiten.` Ihr Augenschlitz
verformte sich nachdenklich zuckend, ihr Gesicht verwandelte sich zu
einem melancholischen Ausdruck und doch machte sich ein zufriedenes
Lächeln darin breit. ` Morgen werde ich sie wiedersehen`. Weder
Frage, noch Bitte, nur flüsternd, kaum hörbar, aber
nachdrücklich beharrend. Er klammerte sich mit unruhigen Augen
an ihren schwarzen, bis hin zum Boden reichenden Mantel fest,
schluckte sein Unbehagen, seine Beschämung hinunter und nickte
mit dem Kopf,
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