Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)
getan. Er konnte jederzeit ein
Treffen mit ihm ausmachen. Aber er war paralysiert. Er konnte sich
nicht zu ihm hin bewegen. Stattdessen führte ihn der Weg zur
Anstalt. Er wollte seiner Leila zuerst begegnen. Er wollte sie
fragen, warum sie ihm das angetan hatte. Er ist ein Narr geblieben
und sie würde das verstehen und dass er sich niemals ändern
wird und ewig ein Dummkopf geblieben ist. Der Fluss vor ihm war
still. Damals war er auf brausend. Er hatte so viel Kraft und Energie
in sich. Heute ist er ganz ruhig und still. So als läge der
Fluss nur noch zum friedlichen, ewigen schlafen und sterben bereit,
ohne jeglicher Phantasien und Ideen. Aber vielleicht ist es nur eine
Aufforderung, ein liebevolles Angebot ihn zu begleiten. Ihn mit in
dieser Stille und seiner Dunkelheit zu begleiten und Gesellschaft zu
leisten. Nicola erhob sich von der Bank und ging seines Weges weiter.
Er war Nichtschwimmer und noch nicht bereit für einen Tiefgang.
Und während er die Straße entlang lief, fühlte er wie
damals seine dunkelblaue Posttasche um der Schulter hängen und
er fühlte sich ein wenig wie damals, als er noch ordentlich
Briefe verteilte und Hoffnungen mit sich trug. Er kam an Häuser
und an ordentlichen und weniger ordentlich gepflegten Gärten
vorbei. Aber er trug nichts an Hoffnung bei sich, außer einem
einzigen Brief, dessen er selbst der Empfänger war. Er war
angekommen. Wie damals noch dieselbe Tür. Er ging durch die Tür
und keine Dame an dem Empfangsschalter bedankte sich für die
abgelieferte Post und keine dicke Dame dahinter kicherte verlegen
über seine wenigen Worte. Er ging weiter, ohne zu wissen, wohin
er zu gehen gehabt hätte. Damals hatte er große Ehrfurcht
vor den verschlossenen Türen und den nicht verschlossenen Türen,
aus denen sich die verschiedensten Gesichter ihm zu zeigen bereit
gewesen waren. Jetzt saß die pure Angst in seinem Nacken. Die
Haare auf seiner Haut streckten sich erschreckt empor. Sein gesamter
Körper war auf Flucht eingestellt. Er bemerkte, wie das Blut in
sein Gesicht schoss. Seine Augen blickten unruhig umher, ständig
auf der Hut und mit dem Wissen in jeder Sekunde seines Daseins sein
Leben verlieren zu können. Aber es passierte nichts. Er traf
niemanden auf dem Flur und er verlor auch nicht sein Leben. So ging
er einen Stock höher. Und während er die Treppen hoch lief,
überlegte er, wie seine Leila wohl jetzt ausschauen würde
und wie sie auf ihn reagieren würde. Aber während er weiter
überlegte, wusste er, dass das völlig egal war. Es machte
ihm viel mehr angst, nicht zu wissen, wie er auf sie reagieren würde.
Wie würde er sich verhalten, wenn er vor ihr stehen und sie
sehen wird, aber sie ihn niemals wieder anzuschauen vermochte. Was
hätte er ihr zu sagen gehabt? Was hätte er ihr an
Entschuldigungen und an Verzeihungen und an Rechtfertigungen
entgegenbringen können. Würde er überhaupt den Mund
aufbekommen? Würde er wie so oft in seinem Leben seine Lippen
nicht bewegen können, wenn etwas Wichtiges bevorstand,
ausgesprochen zu werden? Würde sie ihn, ohne ihn sehen zu
können, überhaupt wiedererkennen? Würde sie ihn an
seiner Stimme erkennen können oder an seinem grässlichen
Lachen? Aber er würde nichts zu lachen haben. Weder jetzt, noch
sonst in seinem weiteren Leben. Er konnte sich an sein letztes Lachen
schon gar nicht mehr erinnern. Woran würde sie ihn dann erkennen
können? Er war ein Nichts. Woran ist ein Nichts, ein Niemand zu
erkennen? Nicola kehrte um. Er lief in höchster Eile die Treppen
wieder hinab, mit der Angst im Rücken, sie könnte plötzlich
hinter ihm stehen und ihm hinter herlaufen. Vielleicht mit einem
Messer in der Hand, um ihm all das zurück zu zahlen, was er ihr
und ihrem Kind angetan hatte. Sie würde ihm hinterher schreien,
was für ein Ungeheuer er ist und er nichts besseres als den Tod
verdient hätte. Er kam unten wieder an und ihm fiel nach
etlichen Atemzügen ein, dass sie niemals hinter ihm herlaufen
könnte. Sie könnte nicht alleine laufen und nichts alleine
erkennen. Sie würde ihn niemals von alleine erkannt haben. Er
lief durch die Tür und kam in der kalten frischen Luft draußen
an. Kein Mensch hier. Wo sind denn nur die Menschen hier alle?
Wahrscheinlich beobachten sie mich heimlich hinter Fenstern und
Monitoren und werden entdeckt haben, dass etwas nicht mit mir stimmt
und werden versuchen bei nächster Gelegenheit mich schnell
einzufangen, um mich bis zum Lebensende hier festzuhalten. Nicola
bemerkte,
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