Geklont
anfingen. »Ich beschwere mich nicht gern, aber ihr verstoßt schon die ganze Zeit gegen die Vorschriften.«
Keiner von ihnen sagte etwas. Sie brachten ihn in das Zimmer, bugsierten ihn in einen harten, dem Schreibtisch des Vernehmungsbeamten zugewandten Stuhl und blieben stumm und grimmig hinter ihm stehen.
Jemand trat hinter ihnen ein. Justin drehte den Kopf und wand sich, um zu sehen, wer es war. Giraud.
»Gott sei Dank«, sagte Justin, ohne es ganz so zu meinen. »Ich bin froh, hier jemanden zu sehen, der mir meine Fragen beantworten kann. Würdest du mir bitte sagen, was hier überhaupt los ist?«
Giraud ging zum Schreibtisch und setzte sich auf eine Ecke. Die Haltung sollte Justin einschüchtern. Er gab sich einigermaßen wohlwollend. »Das möchte ich von dir hören.«
»Hör mal, Giraud, ich bin nicht in der Lage, daß ich irgend etwas sagen könnte. Ich habe in meinem Büro gearbeitet, diese Burschen sind reingekommen und haben mich hergebracht, und ich habe nicht einmal das Anmeldepult gesehen. Was ist los hier?«
»Wo warst du heute mittag?«
»Ich habe aufs Mittagessen verzichtet. Wir beide. Wir haben durchgearbeitet. Komm schon, Giraud, was hat das Mittagessen mit all dem zu tun?«
»Ari ist verschwunden.«
»Was heißt das: ›verschwunden‹?« Sein Herz schlug plötzlich doppelt so schnell, pochte in seiner Kehle. »Ist sie vielleicht nicht rechtzeitig vom Essen zurück? Oder wirklich verschwunden?«
»Vielleicht weißt du das. Vielleicht weißt du alles darüber. Vielleicht hast du sie rausgelockt. Vielleicht ist sie nur mit einem Freund mitgegangen.«
»Gott. Nein.«
»Hast du das mit Jordan ausgeheckt?«
»Nein. Unmöglich. Mein Gott, Giraud, frag die Wachen in Planys. Es gab keinen Augenblick, in dem wir nicht beobachtet worden sind. Keinen einzigen.«
»An den sie sich erinnern, nein.«
Es mußte bis zu Jordan durchgedrungen sein. Er starrte Giraud an und hatte einige Schwierigkeiten zu atmen.
»Wir gehen rüber in dein Apartment«, sagte Giraud gelassen. »Sorge dich nicht um deine Rechte, mein Junge, wir werden nicht aufgezeichnet. Ich sag dir, was wir gefunden haben. Ari ist einfach durch die Küchentür verschwunden. Wir haben ihre Sachen hinter der Pumpstation gefunden.«
»Mein Gott.« Justin schüttelte den Kopf. »Nein. Davon weiß ich nichts.«
»Das Ufer da unten ist breit«, fuhr Giraud fort. »Da könnte leicht jemand anlegen und an Land kommen. Ist das geschehen? Hast du das Mädchen zu einem Treffen rausgelockt, zu dem du nicht erschienen bist, aber jemand anderes?«
»Nein. Nein. Nichts dergleichen. Wahrscheinlich spielt sie euch bloß einen Streich, Giraud. Verdammt noch mal, da ist bloß ein Kind weggelaufen - hast du dich nie aus dem Haus geschlichen, als du ein Kind warst?«
»Wir suchen das Ufer ab. Wir lassen patrouillieren. Verstehst du, wir suchen alle Routen ab.«
»Ich würde dem Kind nie weh tun! Niemals, Giraud!« Giraud starrte ihn mit rotangelaufenem Gesicht an und mußte alles aufbieten, um sich zu beherrschen. »Dir ist doch wohl klar, daß wir dir das nicht abnehmen.«
»Das verstehe ich. Verdammt, ich wünsche mir ebensosehr wie du, daß das Kind gefunden wird.«
»Das bezweifle ich.«
»Ich bin einverstanden, Giraud, ich gebe dir mein Einverständnis, bring bloß um Gottes willen Grant zu mir.«
Giraud stand auf.
»Giraud, kostet dich das etwas? Bring ihn her. Ist das so viel? Giraud, um Gottes willen, bring ihn her!«
Giraud ging wortlos hinaus. »Holt den anderen!« sagte er jemandem im Flur.
Justin stützte sich auf die Armlehne und brach in kalten Schweiß aus, weil er den Boden nicht sah, sondern Aris Apartment in Flashbacks vor Augen hatte, die hier und dort das Wirkliche auslöschten. Er hörte sich öffnende Türen, entferntes Rufen, den Widerhall von Schritten, die sich ihm näherten. Grant, hoffte er. Er hoffte inständig, es sei erst Grant und nicht der Techniker mit dem Hypo.
IX
Ältere kamen ihnen auf dem Gehweg entgegen, und Ari verhielt sich weiterhin wie ein Azi, tat genau dasselbe wie Florian und Catlin, verbeugte sich leicht und ging weiter.
Sie waren nicht die einzigen Kinder. Es gab Jüngere, die sich ernst und gewissenhaft vor ihnen verbeugten. Und eine Gruppe, die kaum übers Säuglingsalter hinaus war, folgte einem Älteren in Rot. Die Jüngeren waren blau gekleidet und hielten sich mit ernstem Gesicht an den Händen.
»Das ist Blau«, sagte Florian, als sie an der Reihe der Jüngeren vorbeigingen.
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