Geklont
Denys die Situation auch nicht aufhellte.
Deshalb schloß sie die Tür zur Bibliothek und versperrte sie; und schob das Band ins Abspielgerät - ohne eine Pille zu schlucken. Sie war keine solche Idiotin, daß sie irgendein Band blind und ohne es vorher anzusehen auf einer Tiefenebene studierte, und ohne es auf unterbewußte Impulse zu überprüfen.
Sie setzte sich und verschränkte die Hände, als es anfing - zunächst fasziniert vom Anblick eines vertrauten Schauplatzes und vertrauter Gesichter - Florian und Catlin, als sie mindestens hundertzwanzig waren; und Justin - bei dem Jungen handelte es sich unzweifelhaft um Justin, was selbst aus diesem ungünstigen Winkel zu erkennen war - der mußte siebzehn gewesen sein; und Ari selbst - elegant und selbstsicher: Sie hatte etwa ebenso alte Nachrichtenaufnahmen von ihr gesehen, aber keine, auf der sie nicht einfach nur Fragen beantwortete.
Sie hörte zu - bemerkte die Nervosität in Justins Stimme, die feinfühlige Kontrolle in der von Ari. Seltsam, diese Stimme so gut zu kennen, und im Innern zu spüren, was sie anrichtete - und zu begreifen, was Kath aus dieser Erfahrung für jemanden machen würde, der sich aufs Bandlernen verstand - sie spürte ein Kribbeln ihren Rücken hinunterlaufen, ein Gefühl von Gefahr und persönlicher Verstrickung - bedingter Reflex, erklärte ein düsterer, analytischer Teil ihres Denkens: die Gewohnheiten in diesem Zimmer, die physiologische Reaktion des endokrinen Systems auf ihre Angewohnheit, hier Kath einzunehmen, und die lebenslange Angewohnheit, auf ein Band zu reagieren - was daran lag, ein Azi zu sein, dachte sie. Und: Der emotionelle Kontext gibt den Anstoß. Gott sei Dank habe ich dafür keine Tranquilizer geschluckt.
Als Muskeln den sympathischen Reiz von Nerven empfingen, die wußten, was für ein Gefühl es war, zu gehen, zu sitzen und zu sprechen, und eines Gehirns, das aus dem Gesamtzusammenhang begriff, daß Ari auf Draht war, und ihr Puls sich beschleunigte, und daß das Ziel ihrer Absichten ein sehr junger, sehr verwundbarer Justin war, der die Signale empfing, die Ari sendete, und mit extremer Nervosität reagierte...
Zieh dich zurück! schärfte sie sich ein, während sie versuchte, sich von der Aggression, die Ari ausstrahlte, zu distanzieren. Reiß dich davon los!
Der Schalter war neben ihr. Sie mußte nur die Hand ausstrecken und ihn drücken, um es auszuschalten. Aber das sexuelle Gefühl war zu stark, auf ein Objekt gerichtet, das sonst nicht erreichbar war - auf einen nicht ganz wirklichen Justin, nicht den Mann, den sie kannte, aber dennoch Justin.
Sie sah das Glas hinunterfallen - bemerkte dann, was Ari ihm angetan hatte, und daß er in schrecklicher Gefahr schwebte. Sie hatte Angst um ihn; aber die Muskeln, die sie in Reaktion auf das fallende Glas sich rühren spürte, gehörten Ari, der Impuls, den sie durch die Hitze der Erregung spürte, betraf die Lache Orangensaft auf dem verdammten Polster - ihrem Sofa ...
O Gott, sie mußte es ausschalten. Sofort!
Aber sie sah weiter zu.
X
Es war eine einfache, vom Computer übertragene Mitteilung gewesen - Komm in mein Büro. Um 09.00. - Denys Nye. -, die ihn in den administrativen Flügel geführt hatte und bis vor die Tür, die er fürchtete.
Sie hatte also das Band, dachte Justin; Denys wußte also von dem Abendessen im Changes.
Giraud hatte er allerdings nicht bei Denys erwartet. Er erstarrte in der Tür, Seely in seinem Rücken, dann ging er hinein und setzte sich.
»Sparen wir uns, was wir beide schon wissen«, sagte Denys, »und streiten wir uns nicht über Einzelheiten. Was, zum Teufel, hast du überhaupt vor?«
»Ich habe überlegt, zu dir zu kommen«, sagte er, »aber ihr war es ebenso peinlich, wie sie wütend war. Ich habe angenommen, wenn ich es täte... zu dir käme... würde sie durchdrehen. Ich dachte, du wolltest das vermeiden.«
»Deshalb hast du drauflos gequatscht. Nach eigenem Gutdünken.«
»Ja, Ser.« Denys klang gefaßt - zu gefaßt, gemessen daran, daß Giraud neben ihm saß und ihn mit einer Feindseligkeit anstarrte, die sich in jeder Falte seines Gesichts abzeichnete. »Und ich wußte dabei, daß du mich herbestellen würdest.«
»Sie hat das Band«, erklärte Denys. »Das hat mich überrascht, Justin, das hat mich wirklich überrascht.«
Giraud ist nicht die Sonderperson. Sondern Denys ...
»Das schmeichelt mir. Ich habe nicht erwartet, dich zu überraschen. Aber deswegen habe ich's nicht getan. Ich wünschte, du
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