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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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die Ohren schlugen. Wenn das Spiel dann aus war und jeder seine Rolle ablegte, durfte ich wieder den etwas bequemeren Charakter Bernard Samsons annehmen, ehemals Agent der Einsatzgruppe Berlin.
    Es war halb sieben, als es endlich soweit war. Der Regen hatte nachgelassen, aber noch immer nieselte es. Die Büros und Geschäfte hatten sich geleert, und auf den Straßen herrschte Hochbetrieb. Wie flüssiges Feuer flackerten die Spiegelbilder der bunten Lichtreklamen im regennassen Asphalt. Der Wagen brachte mich zu Lisl Hennigs Hotel. Ich blieb einen Augenblick im Regen davor stehen und musterte misstrauisch die Fassade. Aber was immer Werner an Veränderungen vorgenommen hatte, war von außen nicht sichtbar. Das alte Haus sah noch genauso aus, wie ich es seit jeher kannte. Sie sahen fast alle so aus, diese Häuser in dem Viertel zwischen Ku’damm und Tiergarten. Alle waren sie um die Jahrhundertwende erbaut, von Spekulanten für neureiche Geschäftsleute, und wer sein Haus besonders individuell gestalten wollte, konnte sich vorgefertigte Verzierungen wie bärtige Faune und vollbusige Nymphen für die Fassade liefern lassen. Manche waren grotesk überladen.
    Seither hatten die angloamerikanischen Bombergeschwader und die sowjetische Artillerie den Berliner Bauten ein noch charakteristischeres Aussehen verliehen. Auch die Fassade von Lisls Haus wies Spuren von Bombensplittern und Kugeln auf. Kurz nach dem Krieg war zwar das Dach erneuert worden, und die Fensterumrahmungen aus Stuck hatte man flüchtig wieder zusammengeflickt. Aber eine gründliche Renovierung war seit vierzig Jahren überfällig.
    Ich drückte die schwere Tür auf und stieg die pompöse Treppe ins Hochparterre hinauf. Ein neuer rubinroter Läufer war verlegt, das Messinggeländer so poliert, dass es glänzte wie Gold, und von der Decke hing ein neuer Kronleuchter. Außerdem spielte jemand Klavier. »Embrace me, my sweet embraceable you …« Und dann eine Kaskade improvisierter Harmonien. Das konnte nur Werner sein, der seidenweiche und überschwengliche Stil war nicht zu verkennen. Wenn Werner sich ans Klavier setzte, ging eine fast überirdische Verwandlung mit ihm vor.
    »… my irreplaceable you.« Jemand hatte den Konzertflügel in die Mitte des Salons gerückt. Und entweder hatte man ihn weiß lackiert, oder es war ein neuer. Es standen jetzt auch bequeme braune Ledersessel hier. In den Barockspiegeln an den Wänden konnte man sich wieder klar sehen, und sogar Lisls Erinnerungsfotos waren alle gesäubert und hingen jetzt dicht an dicht an einer Wand. Die unterschiedlichsten Berühmtheiten aus einem längst vergangenen Berlin waren hier vertreten, Einstein, Furtwängler, Strauss, Goebbels, Dietrich, Piscator, Brecht, Weill und alle Fotos hatten eine persönliche Widmung für Lisl oder ihre Mutter, Frau Wisliceny, bei der einst ganz Berlin ein und aus ging.
    Hotelgäste waren nicht viele zu sehen, vier Dänen nur, die sich angeregt unterhielten, ohne Werners Klavierspiel zu beachten, und ein ausgetrocknetes altes Paar, das an der Bar vor bunten Cocktails saß und ab und zu feindselige Blicke wechselte. Ingrid Winter kam die Treppe aus dem Obergeschoss herunter, ein Tablett in den Händen. In dem knöchellangen Kleid mit einem kleinen, spitzenbesetzten Ausschnitt sah sie genauso herausgeputzt aus wie in Südfrankreich: wie eine Bäuerin beim sonntäglichen Kirchgang. Sie lächelte mir zu.
    Werner blickte von den Tasten auf. Er sah mich und hörte auf zu spielen. »Bernie! Du solltest doch anrufen. Ich hätte dich abgeholt. Es regnet in Strömen …«
    Er musterte meinen nassen Mantel.
»Frank hat mir einen Wagen besorgt.«
Von ihrem Sessel in der Ecke aus rief Lisl gebieterisch:
    »Was machst du denn, Bernd? Komm und gib deiner Lisl einen Kuss!« Sie war gut bei Stimme, was ihr auch sonst fehlen mochte. Sie trug einen langen, wallenden roten Hausmantel. Ihr Gesicht war sorgfältig geschminkt, und sie hatte ihre falschen Wimpern angelegt, mit denen sie klapperte wie ein Schulmädchen. Als ich mich über sie beugte, versank ich in der Duftwolke ihres Parfüms. »Dein Mantel ist naß, Bernd«, sagte sie. »Zieh ihn aus. Klara soll ihn in der Küche trocknen.«
    »Ist schon in Ordnung, Lisl«, sagte ich.
»Tu, was ich dir sage, Bernd. Sei nicht dickköpfig.« Ich zog den Mantel aus und gab ihn der alten Klara, die irgendwoher aufgetaucht war. »Und dann geh in den Heizungskeller und sieh dir mal die Pumpe an. Sie macht wieder Ärger, und ich hab’ ihnen

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