Geködert
erzählen …« Ich zuckte mit den Achseln. »Mein Vater war nicht bei den Kampftruppen. Er arbeitete für den Nachrichtendienst.«
»Er hat Paul Winter erschossen«, sagte Ingrid kühl und ruhig.
»Paul Winter war ein Kriegsverbrecher, jedenfalls wurde das behauptet. Ihr Vater war Offizier bei der Armee, die uns besiegt hatte. Wahrscheinlich ist irgendwas vertuscht worden. Solche Sachen kommen schließlich im Krieg immer wieder vor.«
Ich sagte nichts, weil nichts zu sagen war. Sie glaubte offenbar, was sie erzählte, aber sie war nicht zornig. Sie war eher verlegen. Ich nehme an, sie erinnerte sich nicht an ihren Vater. Er war wohl nur ein Name für sie, und genauso redete sie auch von ihm. Als es schien, dass Ingrid weiter nichts erzählen wollte, sagte Werner: »Dodo hat sich auf das amerikanische Gesetz berufen, das freien Zugang zu den staatlichen Archiven gestattet, den Freedom of Information Act, und jemanden beauftragt, die entsprechende Akte zu suchen. Viel kam nicht dabei heraus. Ein amerikanischer Colonel und ein deutscher Zivilist – beide mit Namen Winter – starben an Schussverletzungen. Die Schüsse wurden bei Nacht und Schneetreiben abgegeben. Die Untersuchungskommission bezeichnete das Ereignis als Unfall. Niemand wurde dafür zur Rechenschaft gezogen.«
»Aber wissen Sie mit Sicherheit, dass mein Vater dort war? Berchtesgaden lag in der amerikanischen Zone. Was hätte mein Vater bei den Amerikanern gemacht?«
»Captain Brian Samson«, sagte Ingrid. »Er hat bei der Untersuchung ausgesagt. Ein Protokoll dieser beschworenen Aussage – und eine Menge andere Dokumente – liegen bei der Akte, aber Abschriften davon hat sich Dodo nicht verschaffen können.« Werner sagte: »Dieser verfluchte Dodo ist ein gefährliches kleines Schwein. Wenn der mal beschließt, Unruhe zu stiften …«
Er sprach nicht zu Ende. Das war auch nicht nötig. Werner kannte mich gut genug, um zu wissen, wie sehr jeder Fehler, den man meinem Vater nachweisen konnte, mich verletzen würde. »Ich habe keinen Streit mit Dodo«, sagte ich.
»Er mag Sie nicht«, sagte Ingrid. »Nach Ihrem Besuch bei ihm hat er Mama besucht. Dodo hasst Sie richtig, Bernard.«
»Warum sollte er mich hassen?«
»Sie ist doch Ungarin, oder nicht?«
»Ja, sie ist Ungarin«, sagte ich.
»Und Dodo ist ein enger Freund ihrer Familie«, sagte Ingrid mit der keinen Widerspruch duldenden Endgültigkeit, mit der Frauen ihre Urteile über solche Beziehungen fallen. »In seinen Augen sind Sie ein aufdringlicher Ausländer …« Sie sprach nicht zu Ende. Das war auch nicht nötig. Ich nickte. Den Rest konnte ich mir denken. Ich konnte mir gut vorstellen, wie ich wirkte: wie ein alternder Wüstling, der ein unschuldiges junges Mädchen verführt hat. Mehr brauchte ein labiler Charakter wie Dodo nicht, um bis aufs Blut gereizt zu sein. Im umgekehrten Fall, das heißt, wenn der unsägliche Dodo mit der Tochter eines meiner alten Freunde zusammenleben würde, hätte ich mich auch aufgeregt. Sogar über alle Maßen.
»Ja«, sagte ich.
»Man kann’s immer noch mit Strom versuchen«, sagte Ingrid.
»Kann man?« fragte ich.
»Elektrische Boiler in den Badezimmern installieren«, sagte Ingrid. »Dann würde der Kessel hier unten heißes Wasser nur für die Küche liefern müssen.«
Die Ungerechtigkeit machte mich wütend. Ich sah den Kessel scharf an und stieß mit dem Fuß gegen die Stelle, wo das Wasser in die Pumpe lief. Nichts passierte, also trat ich noch mal zu, heftiger. Ein Surren ertönte. Ingrid und Werner sahen mich bewundernd an. Ein paar Augenblicke lang warteten wir ab, ob das Geräusch anhalten würde, und Werner fasste das Rohr an, um sich zu vergewissern, dass es wieder heiß wurde. Es wurde wieder heiß. »Wie wär’s mit einem Glas?« fragte Werner.
»Ich dachte schon, du würdest mich überhaupt nicht mehr fragen«, sagte ich.
»Und dann macht Ingrid uns Hoppel-Poppel. Mit Gänseschmalz.«
»Wenn Sie sich waschen wollen, Ihr Badezimmer im Obergeschoß sollte reichlich heißes Wasser haben. Das läuft da oben direkt aus dem Tank.«
»Danke, Ingrid.«
»Ihr Zimmer haben wir gelassen, wie es war. Werner wollte es neu tapezieren und einrichten lassen als Überraschung für Sie, aber ich habe gesagt, wir sollten Sie lieber vorher fragen. Ich dachte, Ihnen gefällt es vielleicht besser, wenn alles so bleibt wie früher.« Dabei sah sie mich an, und in ihrem Gesicht las ich, dass es ihr leid tat, einem Freund von Werner unangenehme Nachrichten überbracht
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