Geködert
so was denn erfahren?« Sie grinste von Ohr zu Ohr, entzückt, mich bei einem Widerspruch ertappt zu haben, denn ihr gegenüber behauptete ich stets, dass ich für einen pharmazeutischen Betrieb arbeitete.
»Naja, ich hör’ so manches«, antwortete ich nicht sehr überzeugend.
»Gute Nacht, Bernd«, sagte sie, noch immer lächelnd. Ich küsste sie noch einmal und machte mich auf den Weg in mein Schlafzimmer. Als ich den Fuß auf die erste Treppenstufe setzte, ertönte hinter mir wie der Schall der Posaune des Jüngsten Gerichts der blecherne Sound einer Dixielandkapelle, die sich an dem Chorus »I’m forever blowing bubbles« versuchte. Kein Wunder, dass Lisls Hotel nicht überbelegt war.
Ich wohnte wieder in der Dachkammer. Schon als Junge hatte ich in dieser engen Mansarde geschlafen, deren Fenster auf den Hinterhof hinausging. Zu dieser Jahreszeit war es eisig da oben. Die Wirkung der Zentralheizung schien seit einigen Jahren mit zunehmender Höhe des Stockwerks nachzulassen, der riesige Heizkörper war kaum lauwarm. Doch die fürsorgliche Klara hatte mir eine Wärmflasche ins Bett gelegt, und so schlüpfte ich zufrieden zwischen die gestärkten Laken.
Vielleicht hätte ich nach dem Abendessen weniger von Franks starkem Kaffee trinken sollen. Jedenfalls konnte ich stundenlang nicht einschlafen. Ich musste an Fiona denken, die vermutlich nur ein paar Straßen weiter ebenfalls im Bett lag. Ich sah sie ganz deutlich vor mir. War sie allein, oder lag sie mit jemand anderem in dem Bett? Eine Flut von Erinnerungen stürmte auf mich ein. Entschlossen zwang ich mich, an etwas anderes zu denken. Was würde aus Lisl werden und aus ihrem alten Haus, wenn sie es verkaufte? Das Grundstück in dieser Gegend von Charlottenburg, ganz nahe beim Kurfürstendamm, war bestimmt eine Menge Geld wert. Jeder Spekulant würde damit machen, was Spekulanten überall mit solchen Grundstücken machen: den Mietern und den Tante-EmmaLäden und den altmodischen kleinen Restaurants kündigen, alles niederwalzen und hässliche Bürogebäude aus Beton und Glas auf den wertvollen Boden setzen, die dem Eigentümer hohe Mieteinnahmen und dem Staat hohe Steuern versprachen. Eine deprimierende Aussicht. Und ich dachte an Klaras kühne Behauptung, den Director-General im Kempinski gesehen zu haben. Die Geschichte war hochgradig unwahrscheinlich aus einer ganzen Reihe von Gründen. Erstens war der D.G. krank, und das schon seit Monaten. Zweitens hasste er Auslandsreisen. Die einzige offizielle Überseereise, die er je unternommen hatte (abgesehen von einer gelegentlichen Konferenz in Washington, D.C.), ging in den Fernen Osten. Soweit ich mich erinnern konnte, war der D.G. seit mindestens fünf Jahren nicht mehr in Berlin gewesen. Und drittens hätte er in Berlin nicht in einem der großen Hotels gewohnt. Er hätte Franks Gastfreundschaft angenommen – oder, wenn sich’s um einen offiziellen Besuch handelte, diejenige des kommandierenden Generals der britischen Streitkräfte, des britischen Stadtkommandanten. Vollkommen unglaubwürdig war aber schließlich Klaras Behauptung, dass der D.G. sie erkannt habe. Der D.G. konnte sich nicht einmal an den Namen seines eigenen Labrador-Hundes erinnern, wenn ihm sein getreuer Adjutant Morgan nicht soufflierte.
Ich versuchte einzuschlafen, aber es ging nicht. Es gab zuviel, das mich wach hielt. Auffällig war zum Beispiel, wie prompt Frank geleugnet hatte, Jim Prettyman zu kennen. Er hatte sich nicht geräuspert, nicht gezögert und auch nicht gefragt, warum ich den Namen erwähnte. Nur ein plattes Nein
– und dann Themawechsel. Normalerweise litt Frank nicht an einem derartigen Mangel an Neugier. Eigentlich verhielt sich kein Mensch normalerweise so.
6
»Wenn Willi auf mich gehört hätte, hätte er die verdammte Maschine gar nicht erst hier aufgestellt«, sagte Werner und hob den Blick von seiner riesigen Portion Rindfleisch, um die beiden weißbekittelten Chirurgen zu mustern, die mit Schraubenziehern in den Eingeweiden einer alten, offensichtlich durch einen Tritt zum Schweigen gebrachten Jukebox herumstocherten. Willi Leuschner, der Wirt, beobachtete die Operation mit der gequälten Miene eines mitleidenden Verwandten. Anscheinend hatte irgendein nächtlicher Popmusikliebhaber seinen Wünschen per Fuß Ausdruck verliehen.
Wir saßen in einer der Nischen am Fenster. Als Jungen waren wir überzeugt gewesen, dass den Leuten auf den Fensterplätzen größere Portionen serviert würden, um Passanten
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