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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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enttäuschen. Man merkte eben doch, dass die alte Dame den Finger nicht mehr wie früher am Puls der Zeit hatte – trotz der Zeitungen.
»Für den Jungen von Klaras Neffen«, sagte sie, ohne zu erklären, weshalb sie während der frühen Morgenstunden damit spielte. Sie legte das Kontrollgerät neben ein Glas Wein, das auf ihrem Nachttisch stand, wo auch ein altes Koffergrammophon und ein Stapel 78er Schellackplatten ihren Platz hatten. »Gib mir einen Kuss, Bernd«, befahl sie.
Ich befreite den kleinen Jeep aus einer Teppichfalte und umarmte und küsste Lisl dann herzlich. Sie roch nach starkem, würzigem Schnupftabak, durchdringend, denn etwas davon hatte sie auch auf ihre Bettjacke verschüttet. Die Vorstellung, diese verrückte Frau zu verlieren, war schrecklich. Sie war mir nicht weniger lieb als meine Mutter.
»Wie bist du denn reingekommen?« fragte sie plötzlich und sah mich streng an. Ich trat einen Schritt zurück und suchte verzweifelt eine passende Antwort. Sie setzte die Brille auf, um mich besser sehen zu können. »Wie bist du reingekommen?«
»Ich …«
»Hat dieses elende Mädchen wieder die Tür nicht abgeschlossen?« sagte sie zornig. »Wie oft soll ich ihr das denn noch sagen … Eines Tages werden sie uns alle im Bett ermorden.« Sie schlug klatschend mit gespreizten Fingern auf die über ihre Bettdecke verstreuten Zeitungen. »Liest sie denn keine Zeitungen? Heutzutage wird doch schon für mickrige zehn Mark gemordet … Die ganze Stadt wimmelt von Verbrechern, Rauschgifthändlern, Rauschgiftsüchtigen, Perversen … Man sieht diese Leute doch am hellichten Tag auf dem Ku’damm auf und ab stolzieren! Wie kann sie da die Haustür weit offenlassen! Ich hatte ihr befohlen, auf dich zu warten. Dieses dumme Mädchen!«
Das dumme Mädchen war fast genauso alt wie Lisl und musste morgen früh schon vor Tau und Tag wieder auf den Beinen sein, um das Frühstück anzurichten und zu servieren. Klara hatte ein bisschen Nachtruhe bitter nötig, aber auf eine Diskussion ließ ich mich lieber nicht ein. Es war besser, Lisl nicht durch Widerspruch zu reizen.
»Wo warst du denn?«
»Ich bin zum Essen bei Frank geblieben.«
»Frank Harrington, diese hinterlistige Schlange.«
»Was hat er dir denn getan?«
»Natürlich, als Engländer musst du ihn ja wohl verteidigen.«
»Ich verteidige ihn ja gar nicht, ich weiß nur nicht, was er dir getan hat.«
»Er ist honigsüß, wenn er was von einem will, aber er denkt nur an sich selbst. Er ist ein Schwein!«
»Was hat Frank denn gemacht?« fragte ich.
»Willst du was zu trinken?«
»Nein danke, Lisl.«
Beruhigt nahm sie einen Schluck von ihrem Sherry, oder was es sonst war, und sagte: »Meine Doppelsuite im ersten Stock habe ich erst vor ein oder zwei Jahren mit einem neuen Badezimmer ausstatten lassen. Wunderbare Räume. Es gibt keine schöneren in Berlin.«
»Aber Frank hat doch diese große Villa, Lisl!« Sie winkte ab. »Für Sir Clevemore. Er hat vor langer Zeit hier gewohnt, als dein Vater noch da war. Damals war er noch kein ›Sir‹, ich bin überzeugt, er würde gerne wieder herkommen.«
»Sir Henry?«
»Clevemore.«
»Ja, ich weiß.«
»Frank hat ihm eine Suite im Kempinski reserviert. Denk doch nur mal an die Kosten. Bei mir wäre er viel lieber gewesen. Das weiß ich genau.«
»Wann soll denn das gewesen sein?«
»Vor ein, zwei Monaten, länger nicht.«
»Du musst dich irren. Sir Henry ist seit sechs Monaten krank. Und in Berlin ist er schon seit ungefähr fünf Jahren nicht mehr gewesen.«
»Klara hat ihn im Kempinski gesehen. Sie hat eine Freundin, die da arbeitet.«
»Sie muss sich getäuscht haben. Ich sage dir doch, Sir Henry ist krank.«
»Sei doch nicht so starrköpfig, Bernd. Klara hat mit ihm gesprochen. Er erkannte sie wieder. Ich war so wütend. Ich wollte Frank Harrington deswegen anrufen, aber Klara hat mich schließlich doch davon abgebracht.«
»Klara hat sich geirrt«, erwiderte ich. Ich wollte ihr nichts davon erzählen, dass Klara schon bei früheren Gelegenheiten solche Geschichten erfunden hatte, nur um ihre selbstherrliche Chefin damit zu ärgern.
»Eine wunderschöne Suite«, sagte Lisl. »Und seitdem ich dieses Badezimmer habe einbauen lassen, erst recht: mit thermostatischem Regler für die Wassertemperaturen, Spiegelwänden, Bidet. Da ist alles dran, sage ich dir.«
»Also Sir Henry war es jedenfalls nicht«, sagte ich. »Mach dir deswegen keine Sorgen mehr. Wenn er in Berlin gewesen wäre, wüßte ich’s.«
»Warum solltest du

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