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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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einer Zwölf.«
    Während er Gloria das erklärte, sah er mich plötzlich an, als sei ihm gerade wieder eingefallen, dass er ja die Ernsthaftigkeit meiner Absichten zu prüfen hatte. Falls er zu einem Ergebnis kam, ließ er sich jedoch nichts anmerken. Er konnte seine Gefühle erstaunlich gut verbergen, wenn er wollte.
    Und so ging es den ganzen Abend lang weiter. Mit donnerndem Motor raste er durch Kunst und Wissenschaft, Gastronomie und Astronomie, antike griechische Architektur und moderne Politik, um dann und wann eine Vollbremsung zu machen und mich mit diesem durchbohrenden Blick zu bedenken, wenn ihm wieder einfiel, dass ich der Mann war, der allnächtlich mit dem Töchterchen seines alten Freundes ins Bett ging.
    Während einer dieser abrupten Pausen in der Unterhaltung hielt er mir plötzlich die Faust unter die Nase. Ich starrte ihn an und rührte mich nicht. Klick! Er hatte ein Springmesser in der Hand, und als nun die verborgene Klinge aus dem Griff sprang, stach mir die Spitze fast ins Auge.
»Dodo!« schrie Gloria entsetzt.
    Langsam zog er das Messer zurück und ließ die Klinge wieder einschnappen. »Haha. Ich wollte nur mal sehen, wie gut seine Nerven sind«, sagte er und schien enttäuscht, dass ich mir meinen Schreck nicht hatte anmerken lassen.
»Ich finde das nicht witzig«, sagte Gloria.
    Gloria hatte zwei Flaschen Cognac aus dem Duty-Free-Shop am Flughafen mitgebracht, und Dodo hatte die erste schon geöffnet, ehe wir ganz bei der Tür herein waren. Ich hielt mich an den lokalen Rosé, der leicht und erfrischend war, aber Dodo sprach auch während des Essens – schwarze Oliven, Hühnerfrikassee mit Gemüse, Ziegenkäse, Äpfel und Apfelsinen – dem Cognac so eifrig zu, dass er, als wir fertig waren, bereits die zweite Flasche entkorkte. Als wir auf den Patio vor seiner Hütte hinaustraten, um die Aussicht zu genießen, redete er so laut, dass man ihn bis Nizza hören konnte. Der Himmel war klar, und alle Sterne des Universums schienen über seinem Haus versammelt, aber es war verdammt kalt. Onkel Dodos Überschwenglichkeit tat das keinen Abbruch.
    »Es ist kalt«, sagte ich. »Verdammt kalt.«
»Hundertfünfzig Jahre alt«, antwortete er und wischte sich Cognac vom Kinn. »Und die Wände sind einen Meter dick, Darling.«
    Gloria lachte. »Sollten wir vielleicht reingehen?« fragte sie. Ich nehme an, sie war an ihn gewöhnt.
Er hantelte sich an der Brüstung entlang, als er ins Zimmer zurückging. Trotzdem rannte er gegen das Fliegengitter und stieß sich den Kopf an der Kante der geöffneten Schiebetür.
Gloria ließ sich von seinen lautstarken Versicherungen, dass das keineswegs notwendig sei, nicht davon abhalten, in die Küche zu gehen und abzuwaschen. In dem Bemühen zu beweisen, was für ein gutherziger und harmloser Knabe ich sei, versuchte ich, ihr zu folgen, doch er hielt mich am Ärmel zurück.
»Laß sie nur machen, Darling«, sagte er unwirsch. »Zu macht immer, was sie will. Ich kenne sie schließlich schon lange.« Er goß mir Wein und sich selbst Cognac nach. »Wunderbares Mädchen.«
»Ja, das ist sie«, sagte ich.
»Du hast Glück. Weißt du das?« Seine Stimme war weich, doch seine Augen waren hart. Ich war jeden Augenblick auf einen Angriff gefasst, und er wusste das, es schien ihn auch nicht wenig zu amüsieren.
»Doch, das weiß ich.«
Er wurde plötzlich still. Er starrte durch die Glastüren auf die Lichter in den Hügeln. Orange Lichter, blaue Lichter und hier und da Autoscheinwerfer, die plötzlich aufleuchteten und ebenso plötzlich wieder verschwanden, wie Glühwürmchen in einer Sommernacht. Die schöne Aussicht schien unversehens einen tiefen Wandel seiner Stimmung zu bewirken. Vielleicht ist das so bei Leuten, die den größten Teil ihrer Zeit damit verbringen, ein und dieselbe Landschaft zu studieren, ihre Farben, Strukturen, Veränderungen. Jedenfalls war seine Stimme nüchtern, als er sagte: »Genieße jede Minute. Denn du wirst sie verlieren.«
»So?« Ich schaffte es, meine Stimme nicht überschnappen zu lassen.
Er nippte an seinem Cognac und lächelte traurig. »Natürlich betet sie dich an. Das sieht ein Blinder mit dem Krückstock. Ich habe es gesehen in dem Augenblick, als ihr hier hereinkamt. Sie hat nur Augen für dich. Aber sie ist noch ein Kind. Ich meine, sie hat ihr ganzes Leben noch vor sich. Und wie alt bist du? Über vierzig, nicht?«
»Ja«, sagte ich.
»Sie will unbedingt studieren. Und davon wirst auch du sie nicht abbringen. Sie wird also auf

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