Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
Vom Netzwerk:
vergleichen. Bei den Winters herrschte ein spartanischer Luxus, Dodos Rumpelkammer befand sich in einem Zustand pittoresker Verwahrlosung. Die Südwand bestand zur Hälfte aus gläsernen Schiebetüren, durch die man auf eine jetzt im Dämmerlicht liegende Terrasse hinausblickte, wo die gleiche Unordnung herrschte wie im Wohnzimmer. Dodo hatte auf seine alten Tage zu malen angefangen. Der einzige andere größere Raum des Hauses lag nach Norden, und den benützte Dodo als Atelier. Er zeigte es uns. Verschiedene unfertige Bilder lehnten an den Wänden. Landschaften in der Manier des späten van Gogh, gar nicht übel. Die meisten zeigten Ansichten des gleichen Motivs, das Tal vor seiner Haustür zu verschiedenen Tageszeiten zwischen Morgengrauen und Abenddämmerung. Angeblich hatte er eine Galerie in Cannes, die seine Bilder verkaufte. Es war vermutlich nicht allzu schwer, diese farbenprächtigen Pasticcios an Touristen, die an der Côte d’Azur Urlaub machten, zu verkaufen.
    Als wir von unserem Besichtigungsrundgang an den Kamin zurückkehrten, qualmte dort das feuchte Holz, das Dodo aufs Feuer geworfen hatte, und die Rauchschwaden schwärzten die Wände noch ein wenig mehr und trieben uns Tränen in die Augen. Gloria deckte den Tisch, der sich praktischerweise gleich neben der Küchentür befand. Hinter dem Tisch an der Wand stand ein hoher, alter, geschnitzter Kleiderschrank. Dodo hatte die Türen herausgenommen, rohe Regalbretter eingezogen und seine Bibliothek hineingestellt: Philosophie, Geschichte, Chemie, Kunst, Lexika, Kriminalromane, Biographien – alles ohne erkennbare Ordnung nebeneinandergepfercht, jedes Buch abgegriffen, fleckig, verbogen oder ausgefranst. Als wir uns zu Tisch setzten, zog er für mich einen Ohrensessel heran und hielt plötzlich die Armlehne in der Hand. Unter schallendem Gelächter steckte er sie wieder an ihren Platz, mit einer Geschicklichkeit, die offenbar in langer Übung erworben war. Er lachte häufig und ließ dabei goldene Backenzähne sehen, die nur wenig gelber waren als sein übriges Gebiss.
    Ich wusste natürlich, dass wir hier waren, weil Gloria mich Onkel Dodo vorführen wollte, und wieviel Wert sie darauflegte, dass ich einen guten Eindruck machte. Und so wollte auch ich einen guten Eindruck machen. In loco parentis beäugte er mich prüfend und stellte mir jene beiläufigen Fragen, wie, sie Eltern den Freiern ihrer geliebten Tochter vorlegen. Aber bald wurde ihm die Rolle lästig, und er unterwies uns in den Regeln der Kunst: »Tizian liebte Rot und Blau. Seht euch irgendeins von seinen Gemälden an, und ihr werdet sehen, dass ich recht habe. Deshalb hat er immer rothaarige Frauen gemalt. Phantastische Frauen. Der Alte verstand was von Frauen, was?« Er lachte herzhaft und nahm einen schnellen Schluck aus seinem Glas. »Und seht euch seine späten Bilder an … mal abgesehen von der Assunta und diesem Zeug … Seht euch die wahren Tizians an: Die sind mit den Fingern gemalt. Er war der erste Impressionist, anders kann man das nicht sagen. Ich sag’ dir, Darling, Tizian war ein Gigant.«
    Zu Glorias Interesse an einer britischen akademischen Bildung bemerkte er: »In Oxford oder Cambridge kannst du nichts Wissenswertes lernen. Aber ich bin froh, dass du wenigstens nicht Romanistik studieren willst. Letztes Jahr hatte ich einen jungen Mann hier, der in Romanistik promoviert hatte, ich glaube in Oxford … oder war es Cambridge? Jedenfalls konnte der arme Kerl keine Speisekarte lesen, Darling! Was sind quenelles? fragte er mich. Bodenlos unwissend. Und dann dieser Akzent! Die einzigen Menschen, die einen Engländer, der französisch spricht, verstehen, sind Leute, die in England Französisch gelernt haben.«
    Über das Glücksspiel: »Wenn man mit zwei Würfeln spielt, ändern sich natürlich die Chancen. Und da gibt es Leute, die auf die Zwei genauso setzen wie auf die Sechs.«
»Und warum sollten sie nicht?« fragte Gloria.
    Er drehte sich zum Feuer und versetzte, mit den Händen auf die Lehnen seines Stuhles gestützt, dem frischen Holzscheit einen Fußtritt, dass die Funken stoben.
    »Nie! Mit zwei Würfeln! Denk nur mal dran, auf wie viele verschiedene Weisen du mit zwei Würfeln sechs werfen kannst: zwei Dreien, eine Vier und eine Zwei, eine Zwei und eine Vier, fünf und eins – oder umgekehrt, eins und fünf. Das sind fünf verschiedene Möglichkeiten. Aber es gibt nur eine Chance, eine Zwei zu werfen: Beide Würfel müssen genau richtig fallen. Das gleiche mit

Weitere Kostenlose Bücher