Geködert
du denn, Bernd? Komm und gib deiner Lisl einen Kuss!« Sie war gut bei Stimme, was ihr auch sonst fehlen mochte. Sie trug einen langen, wallenden roten Hausmantel.
Ihr Gesicht war sorgfältig geschminkt, und sie hatte ihre falschen Wimpern angelegt, mit denen sie klapperte wie ein Schulmädchen. Als ich mich über sie beugte, versank ich in der Duftwolke ihres Parfüms. »Dein Mantel ist naß, Bernd«, sagte sie. »Zieh ihn aus. Klara soll ihn in der Küche trocknen.«
»Ist schon in Ordnung, Lisl«, sagte ich.
»Tu, was ich dir sage, Bernd. Sei nicht dickköpfig.« Ich zog den Mantel aus und gab ihn der alten Klara, die irgendwoher aufgetaucht war. »Und dann geh in den Heizungskeller und sieh dir mal die Pumpe an. Sie macht wieder Ärger, und ich hab’ ihnen gesagt, dass du sie bisher jedesmal repariert hast.«
»Ich werd’s versuchen«, versprach ich ohne große Hoffnung. Lisl war überzeugt, dass ich in meiner Kindheit in
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den antiquierten Stromleitungen und Heizungen ständig technische Wunder vollbracht hätte. Das stimmte natürlich nicht. Die Vorstellung, dass Bernd es schon richten würde, war nur Tante Lisl Ausrede gewesen, die unumgängliche Erneuerung der altersschwachen und hinfälligen Installationen so lange wie möglich hinauszuzögern.
»Das Hotel sieht wunderbar aus, Lisl.«
Sie brummte, als hätte sie mich nicht richtig verstanden, aber das schiefe kleine Lächeln, mit dem sie mich ansah, gab mir deutlich zu verstehen, dass ihr Werners
Renovierungsmaßnahmen Freude machten.
Keiner konnte im Ernst von mir erwarten, dass ich fähig war, die chronischen Rhythmusstörungen der Heizungspumpe zu kurieren; dazu waren sie zu weit fortgeschritten. Aber ich ging, von Werner begleitet, in den Keller und sah mir den lang geplagten, halb verrotteten und überall die Isolierung verlierenden Kessel an. Um Lisls Vertrauen in mich zu rechtfertigen, klopfte ich wenigstens an die Druckmesser und an das Pumpengehäuse und befühlte die lauwarmen Rohre, die sengend heiß hätten sein sollen. »Es ist ja nicht nur der Kessel«, sagte Werner. »Das ganze System wird erneuert werden müssen. Ich hoffe nur, dass es irgendwie noch bis zum nächsten Jahr durchhält.«
»Ja«, sagte ich. Wir sahen die hinfällige Maschinerie eine Zeitlang an, als könnten wir sie mit unseren Blicken zum Leben erwecken. Dann gesellte sich Ingrid Winter zu uns. Sie sagte nichts. Sie stand einfach neben uns und starrte auf den Heizungskessel. Ich warf ihr einen Seitenblick zu. Sie war eine hübsche Frau mit schöner Haut und klaren Augen, die leuchteten, wenn sie einen ansah. Von ihrer Erscheinung ging diese stille Gewissheit unbeirrbarer Kompetenz aus, die man bei Krankenschwestern zu finden hofft.
»Es ist nicht nur das Geld«, erklärte Werner ungefragt. »Es wird furchtbar viel Dreck machen, wenn alle Rohre und
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Heizkörper ausgewechselt werden. Und wenn wir die Heizung im Winter erneuern lassen, wird das Hotel in der Zeit geschlossen werden müssen.«
»Könntest du nicht erst mal den Kessel erneuern?« schlug ich vor. »Und dann nach und nach die Leitungsrohre und die Heizkörper?«
»Der Klempner sagt, dass man das nicht machen kann«, sagte Werner. Er wusste, dass die Materie mir zutiefst fremd war, und sein Blick gab mir deutlich zu verstehen, dass er es wusste. »Die Sorte Kessel, die wir für all die neuen Badezimmer brauchen, kann an diese brüchigen alten Leitungen nicht angeschlossen werden, das gäbe eine Katastrophe.«
Ingrid Winter sagte: »Vielleicht sollten wir noch mit einem anderen Heizungsingenieur reden, Werner.«
Sie hatte einen unverkennbar bayerischen Tonfall, ohne allerdings Dialekt zu sprechen. Aber ich bemerkte eine winzige Veränderung in ihrer Stimme, eine neue Tonlage oder Melodie, und unwillkürlich sah ich Werner an. Werner erwiderte meinen Blick mit jenem traurigen Lächeln, das ich aus unserer gemeinsamen Schulzeit kannte. Werner hatte mir einmal anvertraut, dies sei seine »unergründliche« Miene, aber ich glaube, »schuldbewusst« würde hier besser passen.
Werner sagte: »Der alte Heinmüller kennt das System durch und durch, Ingrid. Er und sein Vater haben es schließlich nach dem Krieg wieder in Gang gesetzt.«
»Irgendwas werden wir jedenfalls machen müssen, lieber Werner« , sagte sie, und diesmal war die Vertraulichkeit in ihrem Ton unüberhörbar. Zwischen den beiden bestand jenes unausgesprochene Einverständnis, zu dem unglücklicherweise viele Ehepaare
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