Geködert
Berlin läßt der Frühling sich Zeit.
Werner setzte mich vor Frank Harringtons Büro ab.
Nirgends musste ich mir mein Geld so sauer verdienen wie dort. Ich ackerte mit Frank und ein paar von seinen leitenden Angestellten die neuesten Londoner Direktiven durch. Alle paar Minuten fluchte jemand oder atmete heftig ein, wenn ich wieder einmal eine besonders unbrauchbare oder schlecht durchdachte Idee der Londoner Zentrale vorstellte. Im Prinzip war ich nur dazu da, damit die Leute vom Außendienst jemanden hatten, bei dem sie ihre Einwände anbringen konnten, und das wusste auch jeder der Anwesenden. Und so lächelte ich und zuckte mit den Achseln und wand mich und machte Ausflüchte, während sie mir ihre wohlbegründeten Einwände um die Ohren schlugen. Wenn das Spiel dann aus war und jeder seine Rolle ablegte, durfte ich wieder den etwas bequemeren Charakter Bernard Samsons annehmen, ehemals Agent der Einsatzgruppe Berlin.
Es war halb sieben, als es endlich soweit war. Der Regen hatte nachgelassen, aber noch immer nieselte es. Die Büros und Geschäfte hatten sich geleert, und auf den Straßen herrschte Hochbetrieb. Wie flüssiges Feuer flackerten die Spiegelbilder der bunten Lichtreklamen im regennassen Asphalt. Der Wagen brachte mich zu Lisl Hennigs Hotel. Ich blieb einen Augenblick im Regen davor stehen und musterte misstrauisch die Fassade. Aber was immer Werner an Veränderungen vorgenommen hatte, war von außen nicht sichtbar. Das alte Haus sah noch genauso aus, wie ich es seit jeher kannte. Sie sahen fast alle so aus, diese Häuser in dem Viertel zwischen
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Ku’damm und Tiergarten. Alle waren sie um die
Jahrhundertwende erbaut, von Spekulanten für neureiche Geschäftsleute, und wer sein Haus besonders individuell gestalten wollte, konnte sich vorgefertigte Verzierungen wie bärtige Faune und vollbusige Nymphen für die Fassade liefern lassen. Manche waren grotesk überladen.
Seither hatten die angloamerikanischen Bombergeschwader und die sowjetische Artillerie den Berliner Bauten ein noch charakteristischeres Aussehen verliehen. Auch die Fassade von Lisls Haus wies Spuren von Bombensplittern und Kugeln auf.
Kurz nach dem Krieg war zwar das Dach erneuert worden, und die Fensterumrahmungen aus Stuck hatte man flüchtig wieder zusammengeflickt. Aber eine gründliche Renovierung war seit vierzig Jahren überfällig.
Ich drückte die schwere Tür auf und stieg die pompöse Treppe ins Hochparterre hinauf. Ein neuer rubinroter Läufer war verlegt, das Messinggeländer so poliert, dass es glänzte wie Gold, und von der Decke hing ein neuer Kronleuchter.
Außerdem spielte jemand Klavier. »Embrace me, my sweet embraceable you …« Und dann eine Kaskade improvisierter Harmonien. Das konnte nur Werner sein, der seidenweiche und überschwengliche Stil war nicht zu verkennen. Wenn Werner sich ans Klavier setzte, ging eine fast überirdische Verwandlung mit ihm vor.
»… my irreplaceable you.« Jemand hatte den Konzertflügel in die Mitte des Salons gerückt. Und entweder hatte man ihn weiß lackiert, oder es war ein neuer. Es standen jetzt auch bequeme braune Ledersessel hier. In den Barockspiegeln an den Wänden konnte man sich wieder klar sehen, und sogar Lisls Erinnerungsfotos waren alle gesäubert und hingen jetzt dicht an dicht an einer Wand. Die unterschiedlichsten Berühmtheiten aus einem längst vergangenen Berlin waren hier vertreten, Einstein, Furtwängler, Strauss, Goebbels, Dietrich, Piscator, Brecht, Weill und alle Fotos hatten eine persönliche
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Widmung für Lisl oder ihre Mutter, Frau Wisliceny, bei der einst ganz Berlin ein und aus ging.
Hotelgäste waren nicht viele zu sehen, vier Dänen nur, die sich angeregt unterhielten, ohne Werners Klavierspiel zu beachten, und ein ausgetrocknetes altes Paar, das an der Bar vor bunten Cocktails saß und ab und zu feindselige Blicke wechselte. Ingrid Winter kam die Treppe aus dem Obergeschoss herunter, ein Tablett in den Händen. In dem knöchellangen Kleid mit einem kleinen, spitzenbesetzten Ausschnitt sah sie genauso herausgeputzt aus wie in Südfrankreich: wie eine Bäuerin beim sonntäglichen Kirchgang. Sie lächelte mir zu.
Werner blickte von den Tasten auf. Er sah mich und hörte auf zu spielen. »Bernie! Du solltest doch anrufen. Ich hätte dich abgeholt. Es regnet in Strömen …«
Er musterte meinen nassen Mantel.
»Frank hat mir einen Wagen besorgt.«
Von ihrem Sessel in der Ecke aus rief Lisl gebieterisch:
»Was machst
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