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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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entschieden hatte. Die Topfpflanzen und Blumen, die hier die Regale füllten, waren zwar nicht selbstgezogen, sondern in der Gärtnerei gekauft, aber mit ihnen wirkte die Veranda wie ein üppiges Paradies, und auf Wirkung kam es Gloria am meisten an.
    Die Sonne ließ Gloria noch frischer aussehen – nicht allen, aber vielen Frauen tut sie den Gefallen –, und ich hatte meine junge Freundin nie schöner gesehen als an jenem Tag. Das Sonnenlicht gab ihrem blonden Haar die Farbe blasser Butter und brachte, wenn sie wie jetzt so ansteckend lächelte, die

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    hohen Backenknochen und wunderbaren Zähne aufs schönste zur Geltung. Und trotz meines gegenwärtigen Elends – oder vielleicht deswegen – verliebte ich mich von neuem heftig in sie.
    Nicht nur einmal, sondern oft habe ich mich gefragt, wie ich ohne Gloria die furchtbare Zeit nach Fionas Verrat überstanden hätte. Neben ihrer täglichen Arbeit, ihren Studien zur Vorbereitung auf die Universität und ihren Bemühungen, mir den Haushalt zu führen, kümmerte sie sich um meine Kinder und machte sich Sorgen um mich. Vor allem ist es ihr gelungen, mir meine Selbstachtung wiederzugeben, und das zu einem Zeitpunkt, da durch den Weggang Fionas meine männliche Eitelkeit stark angeschlagen war.
    Ich nehme an, ich hätte ihr das alles sagen sollen, aber ich habe es nie getan. In schlechten Zeiten, wenn ich Gloria am dringendsten brauchte, hatte ich zu solchen Geständnissen nicht den Nerv, und wenn zwischen uns alles gut lief, dann schienen sie überflüssig zu sein.
    »Du kannst jetzt nicht weiter, du sitzt im Gefängnis«, sagte Sally. »Da kommst du erst raus, wenn du zwei Sechser wirfst.«
    »Ach richtig, ich bin im Gefängnis«, sagte ich. »Hatte ich ganz vergessen.«
    Sally lachte.
    Ich fragte mich, ob die Kinder eine Ahnung von den Schwierigkeiten hatten, die mir ihre Mutter hinterließ, als sie überlief. Sie waren immer höflich zu Gloria, manchmal sogar liebevoll, aber die Mutter konnte sie ihnen natürlich nicht ersetzen. Bestenfalls ließen sie Gloria als eine Art ältere Schwester gelten, und auf diesem Zugeständnis beruhte auch Glorias Autorität. Ich machte mir Sorgen um die drei, und in der Arbeit lief es nicht gut. Dicky Cruyer beklagte sich, dass ich nicht hart genug arbeitete und meinen Schreibtisch nicht leerschaufelte. Ich wandte ein, dass ich nicht an meinem Schreibtisch arbeiten könnte, wenn man mich dauernd als

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    Botenjungen nach Berlin schickte, aber Dicky lachte nur und sagte, die Spritztouren nach Berlin seien doch die besten Erholungspausen vom alltäglichen Trott. Und Dicky hatte recht. Diese Ausflüge nach Berlin waren mir wichtig. Ich wäre untröstlich gewesen, wenn man mich um diese Gelegenheit gebracht hätte, hin und wieder meine Berliner Freunde zu besuchen.
    Aber hatten sich neuerdings alle Leute, denen ich immer vertraut und auf die ich mich verlassen hatte, gegen mich verschworen? Vielleicht wurde ich langsam verrückt; oder war ich’s schon? Nachts lag ich wach und versuchte herauszufinden, was da vor sich ging. Die Schlaftabletten, die ich mir aus der Apotheke holte, hatten nicht die gewünschte Wirkung. Stärkere hätte ich mir von einem Arzt verschreiben lassen müssen, und gemäß den Richtlinien für höhere Angestellte muss jeder Arztbesuch gemeldet werden.
    Schlaflosigkeit schien mir das geringere Übel. So wurde ich von Tag zu Tag schwächer. Am Mittwoch war ich zu der Überzeugung gelangt, dass ich aus dieser scheußlichen Lage nur herauskommen konnte, wenn ich mit jemandem ganz oben sprach. Da der Deputy noch ein grüner Junge und außerdem so etwas wie eine unbekannte Größe war, blieb nur der Director-General, Sir Henry Clevemore. Zu diesem Zweck musste ich den D.G. natürlich erst einmal auftreiben. Ich nahm mir vor, das vor meinem nächsten Ausflug nach Berlin zu erledigen.
    Von seinen Krankenhausaufenthalten abgesehen, lebte Sir Henry in einem protzigen, im Tudorstil erbauten Herrenhaus in der Nähe von Cambridge. In ferner Vergangenheit hatte ich mal ab und zu wichtige Papiere dort hinbringen müssen.
    Einmal war ich bei dem Alten sogar zum Mittagessen eingeladen. Außer seinen engsten Vertrauten kam so selten jemand zu dieser Ehre, dass Dicky mich anschließend geradezu inquisitorisch ausfragte und sich jedes Wort der Unterhaltung wiederholen ließ.

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    Wie oft Sir Henry dieser Tage nach London kam, schien auf meiner Etage niemand zu wissen. Allenfalls erinnerte sich dieser oder jener,

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