Geködert
die unergründliche Miene aufgesetzt, die er sich schon als Schuljunge angeeignet hatte.
»Also, was hast du vor? Sollen sie das Haus um sie herum abreißen?«
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»Ich werde die Leitung des Hotels übernehmen«, sagte Werner. Er starrte mich herausfordernd an, als erwarte er heftigen Widerspruch oder aber höhnisches Gelächter.
»Die Leitung des Hotels übernehmen?« fragte ich verblüfft.
»Ich bin schließlich bei ihr aufgewachsen, nicht? Und habe früher sogar ihre Buchführung gemacht. Ich verstehe genug von dem Geschäft.«
»Sie wird dir nicht erlauben, irgendwas zu ändern«, sagte ich warnend.
»Ich werde alles tun, was ich für nötig halte«, entgegnete Werner ruhig. Sein Ton rief mir in Erinnerung, dass unter meinen Berliner Freunden Lisl nicht die einzige Person mit eisernem Willen war.
»Und denkst du, du kannst einen Gewinn erwirtschaften?«
fragte ich.
»Es reicht, wenn der Laden sich trägt.«
»Und was ist mit dem Wechselbürgschaftsgeschäft?«
»Ich geb’ es auf.«
»Ich glaube, das solltest du dir noch mal überlegen, Werner«, sagte ich beunruhigt. Mir waren gerade die möglichen Konsequenzen eines solchen Schrittes eingefallen.
»Ich habe mich schon entschieden.«
»Wo wirst du wohnen?«
Er lächelte angesichts meiner Bestürzung. Möglicherweise entschädigte ihn das, vielleicht hatte er sich schon darauf gefreut. »Ich nehme eines von den Zimmern im Obergeschoss, aus meiner Wohnung ziehe ich aus.«
»Und was ist mit Zena?« fragte ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Werners junge, eigensinnige und snobistische Frau sich mit einem Zimmer im Obergeschoss von Lisls Hotel abfinden würde, nicht einmal mit der Suite mit dem neuen Badezimmer, auf die Lisl so stolz war.
»Für Zena ist das schwer zu verstehen«, sagte Werner.
»Kann ich mir denken.«
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»Zena sagt, dass sie Lisl nichts schuldet, und in gewisser Hinsicht hat sie da natürlich recht«, sagte er traurig.
»›… und verspreche dir die Treue in guten und in bösen Tagen …‹ Oder gilt das nicht mehr seit der Emanzipation?«
»Ich wünschte, du könntest Zena besser kennenlernen. Sie ist nicht egoistisch. Nicht so egoistisch, wie du denkst«, differenzierte er, als ihm klar wurde, was er da behauptete.
»Was wird Zena also machen?«
»Sie wird die Wohnung in Dahlem behalten. Ich meine, aufgeben können wir die ja nicht, selbst wenn wir wollten, wegen der vielen Möbel. Zu Lisl können wir die ja schlecht mitnehmen, oder?«
»Jedenfalls wird sich dein Leben ganz schön verändern, Werner.« Er gab sein Geschäft auf, seine luxuriöse Wohnung und allem Anschein nach auch seine Frau. Sie hatte ihn schon des öfteren verlassen. Zenas Treue war nicht von der Sorte, die Dichter in Sonetten besangen – eher in Limericks.
Wahrscheinlich war sie mir deswegen so zuwider.
»Es gibt keine andere Möglichkeit, Bernie. Wenn ich Lisl nicht wenigstens diesen Gefallen täte, würde mir mein Gewissen keine ruhige Minute mehr lassen.«
Ich sah ihn an. Werner war ein guter Mensch. Vielleicht der einzig wirklich gute Mensch, den ich kannte. Was konnte ich also sagen außer: »Du hast recht. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
»Vielleicht läuft es ja auch sehr gut.« Werner versuchte verzweifelt, das Beste daraus zu machen. »Wenn mehr Touristen kämen, könnte ich den Bankkredit zurückzahlen. Ich werde versuchen, mit ein paar Reisebüros ins Geschäft zu kommen.«
Er schien es ernst zu meinen. Als wüßte er nicht, dass Reiseveranstalter nur billige, trübselige Schuhkartons mit mindestens zweihundert Betten unter der Leitung von sechzehnjährigen Schulaussteigern wollten, die keine bekannte
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Sprache sprechen! Was soll ein Reisebüro mit einem kleinen, behaglichen, von Menschen geführten Hotel anfangen? »Sehr gute Idee, Werner«, erwiderte ich.
»Natürlich kann ich mein Geschäft nicht von heute auf morgen aufgeben«, sagte er. »Ein paar Sachen sind noch in der Abwicklung.«
»Wie oft fährst du noch rüber?« fragte ich. Werners Geschäfte führten ihn regelmäßig nach Ost-Berlin zu Verhandlungen mit den dortigen Behörden. Ich fragte ihn nicht, ob er noch immer unseren Leuten in Franks Büro Bericht erstattete. Je weniger ich davon wusste, desto besser.
»Nicht mehr so oft. Heute kann man die meisten Vorverhandlungen schon am Telefon erledigen.«
»Wird es also besser?«
»Besser nicht. Anders. Die haben inzwischen gelernt, ihr Image besser zu pflegen und nichts mehr zuzugeben,
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