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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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aber schließlich Klaras Behauptung, dass der D.G. sie erkannt habe. Der D.G. konnte sich nicht einmal an den Namen seines eigenen Labrador-Hundes erinnern, wenn ihm sein getreuer Adjutant Morgan nicht soufflierte.
    Ich versuchte einzuschlafen, aber es ging nicht. Es gab zuviel, das mich wach hielt. Auffällig war zum Beispiel, wie prompt Frank geleugnet hatte, Jim Prettyman zu kennen. Er hatte sich nicht geräuspert, nicht gezögert und auch nicht gefragt, warum ich den Namen erwähnte. Nur ein plattes Nein
    – und dann Themawechsel. Normalerweise litt Frank nicht an einem derartigen Mangel an Neugier. Eigentlich verhielt sich kein Mensch normalerweise so.

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    »Wenn Willi auf mich gehört hätte, hätte er die verdammte Maschine gar nicht erst hier aufgestellt«, sagte Werner und hob den Blick von seiner riesigen Portion Rindfleisch, um die beiden weißbekittelten Chirurgen zu mustern, die mit Schraubenziehern in den Eingeweiden einer alten, offensichtlich durch einen Tritt zum Schweigen gebrachten Jukebox herumstocherten. Willi Leuschner, der Wirt, beobachtete die Operation mit der gequälten Miene eines mitleidenden Verwandten. Anscheinend hatte irgendein nächtlicher Popmusikliebhaber seinen Wünschen per Fuß Ausdruck verliehen.
    Wir saßen in einer der Nischen am Fenster. Als Jungen waren wir überzeugt gewesen, dass den Leuten auf den Fensterplätzen größere Portionen serviert würden, um Passanten hereinzulocken. Ich weiß noch immer nicht, ob das den Tatsachen entspricht oder nicht, aber wir wollten beide auf keinen Fall ein Risiko eingehen.
    »Musikkritikern ist nicht zu trauen«, meinte ich. »Das hätte ihm schon Toscanini sagen können.«
    »Ich wette, diese Jukebox ist nicht versichert«, sagte Werner. Er war der Typ, der die Zufälle des Lebens zunächst mal in Hinsicht auf Gestehungskosten, Prozente, Verzinsung, Risiko, Versicherung bewertet.
    »Sie war billig«, erklärte ich, »und Willi dachte, sie würde mehr Teenager anziehen.«
    »An diesen abgebrannten Halbstarken wird er sich sicher dumm und dämlich verdienen!« sagte Werner. Er kam sich sehr ironisch vor. »Er sollte lieber froh sein, wenn sie draußenbleiben, anstatt ihnen auch noch hinterherzulaufen.«
    Obwohl wir von Kindesbeinen an Freunde waren, konnte Werner mich noch immer verblüffen. Häufig hatte ich ihn erklären hören, dass Jugendkriminalität nur eine Folge war von

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    zuviel Fernsehen, alleinerziehenden Eltern, Arbeitslosigkeit oder dem übermäßigen Genuß von Süßigkeiten. War Werners neue reaktionäre Einstellung jungen Leuten gegenüber etwa ein Zeichen dafür, dass er langsam alt wurde – so wie ich es schon seit einer Ewigkeit war?
    Werner verdiente sein Geld mit Wechselbürgschaften. Das heißt, er finanzierte Exporte aus Osteuropa in den Westen mit harten Währungen, die er borgte, wo er sie kriegen konnte. Er musste hohe Zinsen zahlen und lebte von kleinen Gewinnspannen. Das Geschäft war hart, aber Werner hatte offensichtlich eine glückliche Hand im Umgang mit den unglücklichen Zufällen und günstigen Gelegenheiten dieses seltsamen Randgebiets der Finanzwelt. Wie viele seiner Konkurrenten hatte er mit dem Bankgeschäft keinerlei Erfahrung, und seine berufliche Vorbildung erschöpfte sich in dem Erwerb der Fähigkeit, mit einem japanischen Taschenrechner umzugehen.
    »Ich dachte, du magst junge Leute, Werner«, sagte ich.
    Er sah mich mit gerunzelten Brauen an. Sonst beschimpfte er mich immer als intolerant und engstirnig, aber in unserer Stammkneipe waren wir beide lieber unter unsresgleichen, wie die meisten Berliner auch. Man brauchte gar nicht weit die Potsdamer Straße entlangzugehen, bis man zu der Überzeugung kam, dass die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vielleicht doch keine schlechte Idee war.
    Heute war Werner irgendwie verändert. Es war nicht der neue Bart – ein schöner Vollbart, mit dem er bald aussehen würde wie ein wohlhabender wilhelminischer Brauereikönig oder wie ein Geschäftsfreund von Sir Basil Zaharoff. Es war auch nicht nur, dass er wieder stark zugenommen hatte; nach jeder seiner Schlankheitskuren nahm er stark zu. Auch dass er so viel zu früh zu unserer Verabredung erschienen war, gab nicht den Ausschlag. Aber er war ungewöhnlich unruhig.
    Während wir auf das Essen warteten, hatte er dauernd mit dem

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    Pfefferstreuer und dem Salzstreuer gespielt, sich an den Ohrläppchen gezogen und an die Nase gefasst und aus dem Fenster gesehen, als sei er in

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