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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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Gedanken ganz woanders. Ich fragte mich, ob er schon an seine nächste Verabredung dachte, denn irgendwas anderes schien er noch vorzuhaben – so, wie er da saß, in einem maßgeschneiderten Anzug und seidenen Hemd, war er jedenfalls nicht angezogen für diese Art von Lokal.
    Wir saßen bei Leuschner. Dieses Café in der Nähe des Potsdamer Platzes war in seiner Glanzzeit ziemlich bekannt und Treffpunkt berühmter Leute gewesen. Inzwischen lag diese Glanzzeit schon recht lange zurück, das Lokal war schäbig und fast leer. Kein Wunder angesichts der Tatsache, dass der Potsdamer Platz, einst der verkehrsreichste Europas, jetzt, zwischen Mauer und Stacheldrahtverhau, nur noch für die Bewacher der Staatsgrenze der DDR zugänglich war, die ihre scharfen Hunde im märkischen Sand spazierenführten und dabei darauf achteten, dass ihre Mitbürger auf der anderen Seite des Potsdamer Platzes blieben, wo sie hingehörten.
    Seitdem sich das städtische Leben aus der toten Zone an der politischen Westseite der Sektorengrenze (die dort der geographischen Südseite entsprach) zurückgezogen hatte, war das Café Leuschner zu einem Lokal verkommen, wo man aufpassen musste, zu wem man was sagte, und wo die Polizei regelmäßige Personenkontrollen durchführte.
    Einst standen Luxushotels in dieser Gegend am Anhalter Bahnhof, der in den dreißiger Jahren der größte der Welt war.
    Damals kamen täglich hundertfünfundvierzig Züge dort an, davon zweiundachtzig Fernzüge der Luxusklasse, mit Bar, Speisewagen und Schlafwagen. Durch einen speziell für diesen Zweck gebauten Tunnel geleiteten mit riesigen Koffern aus Krokodil- und Schweinsleder beladene Gepäckträger und Pagen in Livree die angekommenen Gäste unter der Straße und dem brausenden Verkehr hindurch, direkt in das feudale

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    Hotelfoyer des berühmten Excelsior nebenan. Dort wohnte man in bequemer Nachbarschaft zum Gesandtschaftsviertel am Tiergarten, zu den vornehmen Geschäften an der Leipziger Straße, unweit der Straße Unter den Linden und des Herzens der Hauptstadt. Tagsüber beherrschte hier der Verkehr die Szenerie, und das Nachtleben hörte erst mit dem kostenlosen Frühstück für jeden noch wachen Nachtvogel auf.
    Nun war vom Anhalter Bahnhof nur mehr ein Teil der Stirnwand der Schalterhalle erhalten. Im Sommer war das Gelände hinter dieser Wand von dickem Unkraut und Gebüsch überwuchert, und während unserer Schulzeit hatten Werner und ich uns oft dort zwischen den im Dickicht verborgenen Stellwerken, Lokomotivschuppen, ausgeweideten, verrosteten Schlafwagen und anderen Ruinen des Eisenbahnzeitalters herumgetrieben. Seit Kriegsende ist auf den Gleisen der Südbahn hinter dem ehemaligen Bahnhofsgelände ein regelrechter Urwald entstanden.
    Was auf der Nordseite des Anhalter Bahnhofs stehen geblieben war, machte nicht mehr viel her. Man hätte die ramponierten Fassaden, die da noch vereinzelt aufragten, für Filmkulissen halten können, wenn sie nicht so authentisch schmutzig gewesen wären. Dort, wo einst das Zentrum Europas war, war jetzt nichts mehr. Wer nun unterwegs in die Kochstraße oder zum Checkpoint Charlie am ehemaligen Anhalter Bahnhof vorbeifuhr, machte, dass er weiterkam.
    Dennoch hat erstaunlicherweise das Café Leuschner bis heute dort ausgehalten. Willi Leuschner mochte mit der Aufstellung der Jukebox einen bedauerlichen Fehler gemacht haben, aber er zapfte ein gutes Bier, und seine österreichische Frau servierte noch immer einmal in der Woche den besten Tafelspitz in der Stadt. Und zu dem zartgekochten Rindfleisch gab es bei ihr kleine Kartoffelklöße, der Kohl war in Bratenfett gegart und mit Kümmel gewürzt.

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    Als Werner sich den letzten Bissen seiner gigantischen Portion Rindfleisch mit viel zuviel geriebenem Meerrettich in den Mund geschoben hatte, fand ich es an der Zeit, das Thema anzuschneiden, das ich mit Werner besprechen wollte. Ich sagte: »Jedenfalls sieht Lisl hervorragend aus.«
    »Du hast sie nur für fünf Minuten gesehen«, sagte Werner und wischte mit einem Stück Brot den Rest des Meerrettichs von seinem Teller. Ihm trieb das Zeug nicht wie mir die Tränen in die Augen.
    »Sie schlief noch, als ich heute morgen ging, und ich wollte sie nicht stören«, sagte ich. Ich versuchte es noch einmal mit dem Meerrettich, den liegen zu lassen ich schon beschlossen hatte. Wieder fand ich schon das kleine bisschen, das ich an der Gabel hatte, sehr, sehr scharf.
    »Sie ist eine dumme alte Frau«, sagte Werner in einem

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