Geködert
was die westliche Presse aufregen würde.« Das war ein hartes Urteil, um so mehr, als Werner auch in seinen spontanen Äußerungen über die DDR stets um Objektivität bemüht war.
»Wie geht’s der Normannenstraße heute?«
»Blendend«, sagte Werner.
»Inwiefern?«
»Die Ostdeutschen sind heute Nummer eins auf der Moskauer Hitparade. Prag ist nicht mehr die Hochburg der sowjetischen Westspionage, und unsere Freunde in der Normannenstraße lachen sich ins Fäustchen.«
»Beim Stasi soll eine große Umorganisation im Gange sein.«
»Die alten Kämpfer werden einer nach dem anderen aus dem Verkehr gezogen. Auch die Verwaltung wird ausgedünnt.
Die Organisation ist heute kleiner und besser.«
»Soso.«
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»Natürlich werden alle Operationen vom KGB überwacht.
Wenn irgendwas nicht richtig läuft, kriegt die Normannenstraßc Moskaus Missvergnügen zu spüren.«
»Hast du je wieder von diesem Erich Stinnes gehört?«
»Er ist jetzt Verbindungsmann zum KGB. Hat einen sehr einflussreichen Posten gekriegt.«
»Stinnes?«
»Der KGB expandiert. Denen ist der Etat nicht gekürzt worden. Und die Amerikaner operieren immer noch von ihren Botschaften aus, und natürlich stecken alle amerikanischen Botschaften vom Dach bis zum Keller voller Wanzen. Sie werden’s nie lernen.«
»Hat meine Frau was zu tun mit dieser Umstrukturierung?«
fragte ich.
»Ich dachte, davon reden wir«, sagte Werner. »Sie hat dir doch damals bei diesem ›Strukturbericht‹ geholfen, nicht?«
Ich antwortete nicht. Seit Ewigkeiten waren viele der Meinung, dass unsere Dienste unabhängig von den Botschaften und anderen diplomatischen Behörden organisiert sein sollten.
Ich hatte eine Menge Zeit auf einen Bericht darüber verwendet, unter den Dicky Cruyer mit Vergnügen seinen Namen setzte.
Viele Leute, darunter auch ich, hatten erwartet, dass Dicky Cruyer damit seine Karriereleiter weiter hinauffallen würde.
Der Bericht war die beste derartige Arbeit, die ich je gemacht hatte, und ich war stolz darauf. Manche Leute waren der Meinung, dass nach diesem Bericht eine baldige Umstrukturierung unvermeidlich sei. Aber wir hatten die Rechnung ohne das Außenministerium gemacht. Es war schon schwierig genug, den D.G. dazu zu bringen, den Bericht überhaupt vorzulegen. Als die Mandarine im
Außenministerium ihn endlich gelesen hatten, trampelten sie so heftig darauf herum, dass das ganze Gebäude wackelte. Der Secret Intelligence Service sollte ein Teil des Außenministeriums bleiben, und seine Vorschläge wurden
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nicht ernster genommen als die Beschwerde etwa einer afrikanischen Botschaft mittlerer Größe. Unsere Büros blieben in den Botschaften, und wenn deshalb jeder wusste, wo wir zu finden waren, dann war das eben Pech! Es war deprimierend, daran zu denken. Und Fiona kannte die ganze Geschichte.
Wir saßen eine Zeitlang stumm da und blickten zum Fenster hinaus, wo der Verkehr vorüberdonnerte und ein paar Leute mit gegen die Kälte hochgezogenen Schultern auf eine Gelegenheit warteten, die Straße zu überqueren. »Da ist natürlich noch die Frage nach dem Testament«, sagte ich endlich. Ich nehme an, wir hatten beide die ganze Zeit an Lisl gedacht.
»Das Hotel?« fragte Werner.
»Wenn du Pech hast, arbeitest du dich zu Tode und musst dann erleben, dass sie alles dem Hundeasyl vermacht hat.«
»Hundeasyl?« fragte Werner verblüfft. Natürlich war das ein typisch englischer Gedanke. Bei deutschen alten Damen kam es nicht so häufig vor, dass sie ihren gesamten Grundbesitz für das Wohlergehen ausgesetzter Hunde zur Verfügung stellten.
»Irgendeiner wohltätigen Stiftung«, sagte ich.
»Ich mache das doch nicht, weil ich das Haus erben will«, entgegnete Werner.
»Reg dich nicht auf«, sagte ich. »Ich meine nur, du solltest das klären, bevor du was unternimmst.«
»Sei doch nicht blöde, Bernie. Wie kann ich mich mit Lisl hinsetzen und ihr sagen, dass sie ein Testament zu meinen Gunsten machen soll?« Da plötzlich die Jukebox ein heiseres Röhren hören ließ, versuchte ich gar nicht erst zu antworten.
Aber nach ein paar Probetakten schaltete der Mechaniker das Gerät aus und begann, die bunte Verkleidung wieder instandzusetzen.
»Sie hat doch keine anderen Verwandten, oder?«
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»Es hat schon welche gegeben«, sagte Werner. »Eine ihrer Schwestern ist im Krieg gestorben. Von einer anderen weiß ich nur, dass sie Inge Winter hieß und in Frankreich lebte. Sie war älter als Lisl, hatte keine Kinder
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