Gelassene Eltern - starke und glueckliche Kinder - Eine Recherche wie das Leben mit Kindern gelingt
Dadurch machen sie eigene Unzulänglichkeiten zum Problem ihrer Kinder.
Andre Agassi wurde der erhoffte Tennisstar. Er konnte dies jedoch kaum genießen und litt unter großen Selbstzweifeln. Als ihm die Haare ausfielen, trug er Toupet, hatte beim Grand-Slam-Turnier in Paris vor allem Angst vor der Peinlichkeit, es zu verlieren. Er gewann gegen Ivanisevic Wimbledon, war am Ziel seiner sportlichen Träume. Sein Vater rief ihn dann an: Sein erster Kommentar: „Warum hast du den dritten Satz verloren?“ – unglaublich!
Erst dank der Ehe mit Steffi Graf, im Grunde auch ein Produkt des väterlichen Ehrgeizes, scheint Agassi die notwendige Stabilität für ein glückliches Leben gefunden zu haben. Man darf ihm sein Familienglück gönnen.
Ein bisschen schockiert war ich kürzlich auch über das Verhältnis des genialen Violinisten David Garret zu seinem Vater. Garret Junior erzählte in einer Dokumentation über sein Leben, dass er im Grunde gar keine Beziehung zu seinem Vater habe. Dieser sei ausgesprochen emotionslos gewesen. Sein einziges Interesse habe der musikalischen Förderung seiner Kinder gegolten. Das klang recht bitter. Mit 20 Jahren habe er sich bewusst von seinem Elternhaus distanziert, in New York gelebt und da zu seiner Persönlichkeit und seinem ureigenen Weg zu musizieren gefunden. Ich persönlich erkläre mir seine lebensbejahende, offene Art dadurch, dass seine Mutter ihm sehr viel Liebe mit auf den Weg gegeben hat, die nachhaltig wirkte. Das ist aber eine reine Vermutung .
Drill generiert bei Kindern das Gefühl, nicht zu genügen. Gedrillte Kinder sind unselbstständiger und es fällt ihnen schwer, eigene Entscheidungen zu treffen. Sie verfügen oft über ein schwaches Selbstwertgefühl und mangelnde Kreativität. Als sehr problematisch empfinde ich, dass sie vor allem wenig Interesse an anderen zeigen und somit soziale Defizite aufweisen.
Mir gefiel Joachim Käppners Beitrag in der Süddeutschen Zeitung (5./6. Februar 2011), in dem er für mehr Gelassenheit plädierte. Der Redakteur schreibt darin:
„Das Beste, was Eltern heute für ihre Kinder tun können: die Tigermutter röhren lassen und gelassen bleiben.“
Der kluge Kinderheilkundler Remo Largo zitiert dazu ein hübsches Sprichwort:
„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man ständig daran zieht.“
Alle Versuche, Leistung durch Druck und Drill zu erzwingen, stoßen dort auf Grenzen, wo das Selbstwertgefühl des Kindes ernsthaft leidet. Wie später, im Erwachsenenleben, fällt es jungen Menschen leichter, gute Leistungen zu erbringen, wenn sie das gern tun und sich stark fühlen. Kinder sind abhängig von Beziehung zu den Eltern, den Lehrern, der Umwelt – es gleicht einer seelischen Geiselnahme, diese Beziehung zu missbrauchen.
Die Kinder und Jugendlichen sind weit besser als ihr Ruf, den man ihnen andichtet. Das Problem ist weniger der Mangel an Drill, sondern an Beziehung. Aber viele Eltern können sie kaum herstellen; sie sind überfordert durch beruflichen Stress, Trennungen, manchmal auch durch Egozentrik, und überlassen es nicht minder überforderten Lehrern, sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern. Und jene Lehrer kommen damit am besten zu Recht, die eine Beziehung zu ihrer Klasse aufbauen und so die Gratwanderung zwischen Verständnis und notwendiger Autorität schaffen.“
Oh, wie wahr und tausend Dank, Herr Käppner: Schule kann keine kompensatorische Erziehung leisten, das ist und muss Aufgabe der Eltern bleiben. Die Lehrer haben eine Verantwortung: eine gute Beziehung zu den jungen Menschen aufzubauen, die sie betreuen, sie zu achten, sie zu respektieren, ihnen Vorbild zu sein. Lehrer können darüber hinaus einen Beitrag zu ihrer Sozial- und Persönlichkeitsbildung leisten. Das Wesentliche bringen die Kinder aber von daheim mit oder eben nicht.
11 Müssen deutsche Eltern so viel erziehen?
Jesper Juul ist Kult. Der renommierte Familientherapeut aus Dänemark gilt als Sokrates unter den Pädagogen und seine Bücher stehen in allen Buchläden. Man sieht ihn regelmäßig in Talkshows, in denen er nicht müde wird, die Erziehungspraxis in deutschen Familien zu kritisieren. Er sagt, er streite täglich mit deutschen Müttern, weil nirgendwo so viel erzogen würde wie in Deutschland. Er ist der Meinung, Eltern wollen aus Kindern „Bonsaibäume“ machen, über deren Wachstum sie als Besitzer die Macht übernommen haben. In diesem Projekt werde den Kindern der Eigensinn ausgetrieben. Wenn ganz
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