Gelegenheitsverkehr
Budapest wurde meine Mühsal belohnt. Mihaela. Mit 9,6 Knoten in Richtung 311 Grad unterwegs. Ohne »ch«. Ich schenkte mir Kaffee ein, nahm einen Schluck und sah aus dem Fenster. Die Löwenzahnwiese gewann täglich an Saft und Kraft.
Ich las die Erklärungen auf der Seite. Offenbar funkten die Schiffe automatisch ihre Positionen. Entlang der Strecke fingen Antennen die Signale auf und leiteten sie weiter. So ähnlich wie GPS. Und ich konnte den Weg der Mihaela verfolgen. Außer Kurs und Geschwindigkeit wurden die wichtigsten Daten und manchmal auch Fotos angezeigt.
Die Mihaela war ein containergeeignetes dry cargo ship, 100 Meter lang und 9 Meter breit. Die Fotos zeigten einen langen Frachtkahn mit großen Blechabdeckungen über hallenähnlichen Laderäumen, einem Kran und einer Radarantenne am Bug.
Ich betrachtete die Fotos. Was machte man mit einem Schiff? Man transportierte. Illegale zum Beispiel, oder Drogen. Große und schwere Waren. Oder sehr viele Waren auf einmal. Giftmüll? Waffen? Der Menüpunkt »Itinerary« war besonders aufschlussreich. Destination: Linz. Arrival time: Monday 9. 5. Ich könnte auf die Ankunft der Mihaela warten und mir das Schiff ansehen.
So einfach war ich noch nie zu Informationen gekommen. Ich war misstrauisch. Was, wenn das Ganze nicht richtig funktionierte? Demoversion? Aber das konnte ich überprüfen. Laut Karte hatten die Alabaster und die Bleiberg gerade in Linz angelegt. Jeweils 0 Knoten. Ich schaltete den Computer aus und zog mir Jeans, T-Shirt und einen leichten Pullover an. Im Karton mit dem Gummiknüppel kramte ich nach der Hundeleine, die ich dort vermutete. Gut, dass Frau Amras sie nicht gesehen hatte. Das hätte sie außer Rand und Band gebracht.
Zeit für einen Aufklärungsspaziergang.
*
Der Handelshafen war frei zugänglich und bestand aus drei parallelen Becken, jedes fünfhundert Meter lang und hundert Meter breit. Auf den Kais dazwischen erstreckten sich Lagerhäuser mit großen Rolltoren und LKW-Rampen und Gebäude für Zoll und Feuerwehr. Gabelstapler standen ordentlich eingeparkt im Schatten der Hallen. Riesenhafte blaue Kräne auf Gleisen reckten ihre Ausleger in den Himmel und warteten auf Beute. In den Fensterscheiben spiegelte sich die goldene Abendsonne.
Ich hatte hinter dem Halben Anker geparkt und mich von Norden genähert. Ich spazierte den Kai zwischen zweitem und drittem Hafenbecken entlang. Die Anlagen waren verlassen und still. Vogelgezwitscher untermalte den Feierabend. Leichter Wind kräuselte das Wasser, das ganz unhafenlike sauber aussah. Hin und wieder zierten Glasscherben und Nägel den Asphalt. Eine Baggerschaufel, in die leicht ein Kleinwagen passte, lag neben einem imposanten Berg aus Holzbalken auf dem Boden, als hätte sie sich den Appetit verdorben. Das Drahtseil, das sie mit dem Kran verband, hing schlaff herunter.
Dahinter war die Bleiberg vertäut. Eins zu null für Meisterermittler Kant. Die Abdeckungen waren zurückgeschoben. Ich konnte in den gähnend leeren Laderaum hinuntersehen. Modergeruch stieg mir in die Nase wie ein exotischer Gewürzduft. Auf dem oberen Teil der Rumpfwand waren Maße und Tonnage aufgemalt. Meine Wohnung passte ein paar Mal in das Schiff hinein.
Hinter der Bleiberg saß ein Angler auf einem Stück Styropor und starrte aufs Wasser. Ein kleines Radio neben ihm dudelte leise dahin. Ich schwenkte die Hundeleine, richtete meinen Blick zum Horizont und pfiff durch die Zähne. »Manfredi. Hier.« Der Angler ignorierte mich.
Ich umrundete die Spitze des Kais und ging wieder in Richtung Festland. Ein Fahrradfahrer, aus dessen Satteltaschen zusammengeschobene Angelruten ragten und zwei Hundebesitzer kreuzten meine Schritte. Vor mir lag das letzte Hafenbecken. Zwei Schiffe hatten längsseits festgemacht, aber ich konnte ihre Namen aus der Distanz nicht erkennen. Auf der anderen Seite lag der mit einem hohen Zaun umgebene Containerterminal. Wie Legosteine stapelten sich die bunten Container auf dem Gelände. Zwischen den Gebäuden wiegten sich große Birken und spielten mit ihren Blättern die Rascheltonleiter auf und ab. Auf einem großen Lagerplatz standen Paletten mit Säcken, auf denen »Kultursubstrat« aufgedruckt war. Das vordere Schiff führte auf dem Bug einen kyrillischen Namen. Auf dem Heck stand in normaler Schrift »Tolstoy«. Ein bulliger Mann in schwarzem Trainingsanzug und abgewetzter Ohrenschützerkappe kam aus der Tür des Ruderhauses, warf mir einen misstrauischen Blick zu und hantierte
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