Gelegenheitsverkehr
die Pässe, packte eilig alles in die Tasche, wie es gewesen war und platzierte sie wieder in ihrem Versteck. Ich lauschte kurz, blickte durch den Spion und entfernte meine Gummikeile.
Im Erdgeschoß stand eine kleine gebückte Frau mit weißem Haar vor den Brieffächern. In einer Hand hielt sie einen großen Schlüsselbund, in der anderen Briefe und Werbeprospekte. Sie musterte mich misstrauisch aus roten Augen.
»Grüß Gott«, sagte sie.
»Grüß Gott, gnä’ Frau«, erwiderte ich in leidendem Tonfall und seufzte abnormal tief. »Die haben mich schon wieder zur falschen Adresse geschickt.«
»Ah, Sie sind der Elektriker.« Sie schüttelte ihr runzliges Haupt. »Na solche Deppen. Sie machen sich auch was mit, Sie Armer.«
»Sie wissen ja gar nicht, wie recht Sie haben. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.«
*
Bei Bettina war dauernd besetzt. Ich ging zum Küchentisch und steckte mein Handy samt Ladegerät am Notebook an. Dann füllte ich die Kaffeemaschine und schaltete sie ein. Als alle Fotos überspielt waren, startete ich das Bildbearbeitungsprogramm und sah mir die Pässe an. Hugo Thelmann, Robert Schmidt, Hans Peter Maier. Normgerechte Passfotos, keiner der drei lächelte.
Anhand der Bilder war es unmöglich, die Herkunft zu schätzen. Das konnten wirklich Deutsche sein, genauso gut aber auch Ukrainer oder Albaner. Google wusste rein gar nichts über sie. Für wen waren die bestimmt? Und die Namen auf dem Post-it? Waren das Bloderers Kumpels? Lavallon klang französisch. Die anderen beiden hörten sich irgendwie östlich an.
Ich holte mir Kaffee, nahm einen Schluck und verbrannte mir die Lippen. So östlich wie Mihaela. Ich stellte die Tasse schnell wieder hin und surfte zur Schiffstracking-Seite. Es gab eine Gavril, die unter rumänischer Flagge fuhr. Ship type cargo. Sie lag in Ingolstadt vor Anker und würde am Montag in Linz eintreffen.
Heute war Mittwoch. War Bloderer unter die Reeder gegangen?, fragte ich mich und zügelte mich gleichzeitig. Vor der Analyse erst alle Informationen sichten.
Das Foto der Excelliste war nicht besonders gut. Ich erhöhte Kontrast und Helligkeit und zoomte so lange hin und her, bis ich sie einigermaßen entziffern konnte. Zeilen mit Namen, Telefonnummern und Orten. Tschisi, Toni, Dackel Peter und so weiter. Nur Richter war Richter. Vielleicht war er zu alt für einen zünftigen Decknamen gewesen.
Allhaming, Donaublick, Gmunden Esplanade, Lindach Nord. Zwei Autobahnraststationen, eine Seepromenade und ein Aussichtspunkt. Gute Orte für anonyme und unverdächtige Begegnungen. Ein Eintrag lautete auf »Opal«. Ein zwielichtiges Szenelokal mit Räumen wie ein Fuchsbau. Es galt als Anlaufadresse für Kokser auf dem Trockenen.
Die folgenden Spalten, beschriftet mit Jänner bis Dezember, enthielten handgeschriebene Zahlen und Buchstabenkürzel. Die letzte Eintragung bei Richter lautete auf »500« im Februar. Ein paar der anderen waren schon bei Mai. Manchmal stand »2K« oder »5G« dort.
Koks? Gras? Vorsichtig trank ich den allmählich abkühlenden Kaffee. Richter war am sechsundzwanzigsten Februar tot in seiner Wohnung gefunden worden. Hatte er sich kurz vor seinem Tod mit Bloderer getroffen? Hatte ihn der auf dem Gewissen? Jemand, dem im Gefängnis zwei Mithäftlinge unter der Hand zerbrochen waren, konnte leicht einem Siebzigjährigen den Hals umdrehen. Und ihn dann als erledigt durchstreichen.
Die Vorwahlen gehörten ausschließlich zu Mobiltelefonen. Ich hatte wenig Hoffnung. Next stop Telefonbuch. Ich tippte die Nummern ein. Kein Treffer. Ich überlegte bereits, was ich sagen sollte, wenn ich alle durchtelefonieren würde, als plötzlich »Blumen senden? Postkarten senden?« angezeigt wurde. Peter Kasberger, Karolingerstraße 7, Leonding.
Dackel Peter.
Zufrieden mit mir selbst, lehnte ich mich zurück und ließ Revue passieren, was ich über Bloderer wusste.
Er hatte im Gefängnis einen Computerkurs gemacht, war auf Bewährung draußen und arbeitete für einen Hungerlohn als Softwaretechniker. Seine Wohnung und sein Auto passten nicht zu seinem Einkommen. Er ging regelmäßig ins Fitnesscenter und sah auch so aus. Vorgestern war er auf der Mihaela gewesen. Er hatte eine Tasche mit Geld und Drogen versteckt. Der Name eines nächste Woche eintreffenden Rumänendampfers stand auf einem Post-it, das auf einem Päckchen mit falschen Pässen klebte. Auf einer mysteriösen Excelliste stand neben anderen auch Richter und war durchgestrichen.
Mein
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