Geliebt, begehrt, verwoehnt
Melly verliebte sich schon in den Mantel, bevor sie ihn anprobiert hatte. Als sie ihn dann anzog und den bewundernden Blick der Verkäuferin bemerkte, fragte sie sich unwillkürlich, was Finn wohl denken würde, wenn er sie darin sehen könnte. Schnell verdrängte sie den Gedanken an Finn. Sie durfte nicht schwach werden. Sie wollte ihn nicht, und sie brauchte ihn auch nicht. Schon die Möglichkeit, dass sie es überhaupt in Erwägung zog, erschreckte sie.
Melly zog den Mantel aus und hielt ihn der Verkäuferin hin. Die Frau deutete ihren verärgerten Gesichtsausdruck falsch und glaubte, dass sie den Mantel wegen des hohen Preises nicht nehmen wollte. Sie beeilte sich zu erklären, dass es sich um ein exklusives Designermodell handelte.
"Er ist wunderbar, ich habe mich sofort in ihn verliebt", erklärte Melly.
Gleichzeitig wunderte sie sich, wie sie das Wort verliebt so leicht aussprechen konnte. Sich in Finn zu verlieben hatte ihr nichts als Schmerz und Unglück gebracht.
Warum konnte sie nicht aufhören, an Finn zu denken? Warum wurde sie von dem selbstquälerischen Drang getrieben, alles, was sie tat, mit ihm in Verbindung zu bringen? Melly ärgerte sich über sich selbst, als sie die Boutique eine Stunde später verließ. Sie trug den Kaschmirmantel und darunter ein Kostüm, das sie ebenfalls gerade gekauft hatte.
Diesmal hatte der Einkaufsbummel nicht dieselbe aufmunternde Wirkung auf sie gehabt wie sonst. Obwohl ihr die Boutique gefallen hatte und die Verkäuferin ihr einen köstlichen Cappuccino gebracht hatte, empfand sie in ihrem tiefsten Inneren nichts als Kälte und Leere. Sie fühlte sich so verloren und elend wie früher als Kind. Sie war immer eine Außenseiterin gewesen, die sich danach sehnte, Teil einer liebevollen, glücklichen Familie zu sein.
Das war allerdings gewesen, bevor ihre Großeltern sie bei sich aufgenommen hatten. Bei ihnen hatte sie sich geborgen gefühlt. Später hatte sie gelernt, allein zu leben. Sie hatte für sich entschieden, dass finanzielle und gefühlsmäßige Unabhängigkeit mehr wert waren als Liebe. Nun, da sie wieder allein war, konnte sie nicht mehr verstehen, was über sie gekommen war. Wie hatte sie sich einbilden können, Finn zu lieben? Liebe war zu unberechenbar und zu flüchtig, um in ihrem gut organisierten Leben Platz zu haben.
Melly war froh, dass sie wieder bei Verstand war. Das Ganze war ein bedauerlicher Fehler gewesen. Sie hatte dadurch eine Schwäche entdeckt, der sie sich vorher nicht bewusst gewesen war. Aber ihr Fehler würde keine Folgen haben. Es war vorbei.
Finn sah unbestreitbar gut aus und besaß eine überwältigende erotische Ausstrahlung. Zweifellos war sie nur eine von vielen Frauen, die sich seinetwegen zum Narren gemacht hatten. Die Wangen brannten ihr vor Scham, als sie daran dachte, was sie alles getan und gesagt hatte. Zum Glück war es wenig wahrscheinlich, dass sie ihm je wieder begegnete. Sie blickte auf ihre Armbanduhr und eilte durch den stärker werdenden Wind zu dem Parkplatz, auf dem sie ihren Mietwagen abgestellt hatte.
Die Rückfahrt zu ihrem Hotel in Lampton würde nicht länger als eine halbe Stunde dauern. Sie war dort am Nachmittag zuvor eingetroffen. Von Finns Hof zum Hotel hatte sie ein Taxi genommen. Sie hatte ihr ganzes geschäftliches Verhandlungsgeschick anwenden müssen, um den Manager des Hotels dazu zu bringen, ihr das Geld für das Taxi auszulegen. Erst nach einem Telefongespräch mit Gayle hatte er ihr das Fahrgeld und eine kleine Summe in bar vorgeschossen. Gayle hatte für sie gebürgt und ihm die Nummer ihrer eigenen Kreditkarte gegeben. Zu Mellys großer Erleichterung waren ihre neuen Kreditkarten an diesem Morgen per Eilkurier zugestellt worden.
Ihre Schritte verlangsamten sich, als Melly wieder an Finn denken musste. Sie sah ihn vor sich, wie er ihr wütend und feindselig nachgeblickt hatte, als sie im Taxi wegfuhr. Für das, was zwischen ihnen geschehen war, gab es keine Erklärung. Es passte nicht zu ihr, so etwas zu tun. Sie war froh, dass dieser flüchtige Rausch vorbei war und sie wieder in die Realität zurückgefunden hatte.
Melly kuschelte sich in ihren neuen Mantel. Auf einmal erschrak sie. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht wahrgenommen hatte, was ihr Körper schon seit Sekunden wusste: Der Mann, der keine fünf Meter von ihr entfernt mitten auf der Straße stand, war Finn.
"Finn!" Ihre Stimme war nur ein Flüstern. Melly wurde ihr gleichzeitig heiß und
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