Geliebt
würde er dann tun? Würde er gehen, um seinen Krieg zu führen und seinen Clan zu retten? Und was würde das für sie bedeuten?
Händchen haltend legten sie die letzten Meter zu dem Friedhof zurück. Sein Griff wurde fester. Vielleicht teilte er ja ihre Gedanken. Was auch immer sie in den nächsten Minuten finden würden, könnte ihrer beider Leben für immer verändern. Caitlin spürte, dass Rose sich tiefer in ihrer Jacke verkroch.
Die Sonne ging gerade unter, als sie den düsteren kleinen Friedhof der King’s Chapel betraten. Es handelte sich um den kleineren der beiden historischen Friedhöfe Bostons, der schon ziemlich in Vergessenheit geraten war. Er war nur etwa dreißig Meter breit und kaum länger. Kleine, bescheidene Grabsteine, Hunderte von Jahren alt, waren auf dem Gelände verteilt.
Ein schmaler, gepflasterter Weg wand sich zwischen den Gräbern hindurch. Caitlin setzte Rose auf dem Boden ab, damit sie neben ihnen herlaufen konnte. Während sie jeden einzelnen Grabstein musterten und jede Inschrift lasen, klopfte Caitlins Herz heftig. Konnte das hier das Grab ihres Vaters sein? Oder das dort drüben?
Sie begannen ihre Suche ganz hinten in der letzten Reihe, gingen von Stein zu Stein und hielten nach einem Hinweis Ausschau. Bald stellte Caitlin fest, dass sie sich zu den größeren Grabmälern hingezogen fühlte – sie hoffte, dass ihr Vater eine bedeutende Persönlichkeit gewesen war und deshalb einen großen Grabstein bekommen hatte.
Doch sie konnten seinen Namen nirgendwo finden.
Als sie ihre Suche beendet hatten und wieder am Eingang gelandet waren, entdeckte Caitlin auf einmal, dass noch eine letzte Grabreihe übrig war. Sie lag direkt an der Straße, ganz dicht beim Eingang. Langsam schritten sie die Gräber ab.
Schließlich fanden sie es – ganz am Ende.
Auf dem Grabstein stand: Elizabeth Paine, gestorben 1692 .
Es handelte sich um dieselbe Elizabeth Paine, auf die sie bereits in Salem gestoßen waren. Die Frau aus Hawthornes Der scharlachrote Buchstabe . Die Frau, die eine Beziehung mit einem Vampir eingegangen war, wie Caleb ihr erzählt hatte. Die Frau, die Caitlins Nachnamen trug. Hier war sie begraben.
War sie es, der sie die ganze Zeit auf der Spur gewesen waren? Hatte Caitlin nicht ihren Vater, sondern ihre Mutter gesucht?
Oder war Elizabeths Ehemann der Vampir gewesen?
Caleb kniete sich mit Caitlin neben das Grab. Auch Rose ließ sich nieder und starrte den Grabstein an.
»Das ist der Ort«, sagte er voller Ehrfurcht. »Hierher sollten wir kommen. Das ist ihre letzte Ruhestätte. Sie ist deine Vorfahrin.«
Caitlin war verwirrt. »Dann haben wir also die ganze Zeit nach meiner Mom gesucht?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Caleb. »Es könnte sein, dass sie der Vampir war. Oder der Mann, den sie geheiratet hat.«
»Aber«, warf Caitlin ein, »heißt das, dass sie tot sind? Oder leben sie noch?«
Langsam schüttelte Caleb den Kopf. »Ich habe keine Ahnung«, gab er schließlich zu.
Erneut las er den Text auf der Schriftrolle: »… und finden die, die sie liebten, neben der vierten Spitze des Kreuzes.« Er ließ seinen Blick über den ganzen Friedhof schweifen. »Das muss der richtige Ort sein. Das hier sind ›die, die sie liebten‹. Das muss die vierte Spitze des Kreuzes sein. Es gibt sonst keine andere Möglichkeit«, sagte er nachdenklich. »Trotzdem sehe ich nichts, was auf das Versteck des Schwertes hindeutet. Du?«
Auch Caitlin sah sich erneut auf dem kleinen Gelände um, das inzwischen von der untergehenden Sonne rot angestrahlt wurde. Dann seufzte sie. Nein. Es gab keine einzige Spur.
Doch dann hatte sie plötzlich wieder eine Eingebung.
»Lies es noch einmal vor«, forderte sie. »Ganz langsam.«
»Und finden die, die sie liebten, neben der vierten Spitze des Kreuzes.«
»Neben«, wiederholte sie mit leuchtenden Augen.
»Was?«
»Es heißt neben der vierten Spitze des Kreuzes. Nicht an , sondern neben «, sprudelte sie hervor.
Gleichzeitig drehten sie sich um und betrachteten das große Steingebäude neben dem Friedhof.
Die King’s Chapel.
***
Als sie die leere Kirche betreten hatten, schloss Caleb das mächtige Portal hinter sich. Es fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Natürlich war die Kirche verschlossen gewesen, doch Caleb hatte das Portal mit seiner enormen Kraft aufgebrochen. Jetzt hatten sie die Kirche für sich.
In der wunderschönen kleinen Kapelle strömte das Sonnenlicht durch die bunten Fenster. Sofort war Caitlin von Ruhe und
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