Geliebte des Blitzes
Liberty entdeckt? Wo hatte sie all die Jahre gelebt?
Faith brauchte Antworten, und zwar sofort. Unglücklicherweise waren die Typen, die ihre Schwester gefangen hielten, nicht besonders mitteilsam.
»Gleich landen wir«, verkündete der Pilot. Dankbar verdrängte Faith die grauenhaften Visionen aus ihrem Gehirn und spähte aus dem Fenster.
Einige Sekunden lang schienen Wasser und Luft schimmernd zu verschmelzen. Und plötzlich erschien eine monströse Plattform vor der Küste. Wie zum Teufel hatte Itor das geschafft? Mit was für Leuten arbeitete Sean nur zusammen?
Es drehte ihr den Magen um bei dem Gedanken, dass sie das bald herausfinden würde.
Nach der Landung half ihr ein Mann in einem schwarz-orange gefleckten Overall aus dem Helikopter. Sie spürte Augen, die sie angafften. Viele Augen. Aber eine Frau, die in einem ärmellosen schwarzen Lederkleid eine Ölplattform voller Männer betrat, musste ja mit durchdringenden Blicken und wölfischen Pfiffen rechnen.
»Miss Black, ich bin Don Goss. Wenn Sie mir folgen würden, ich bringe Sie zu Mr. Stowe.«
Sie nickte dem Mann zu, der vor ihr auf dem Hubschrauberlandeplatz stand und sie gegen die schwülwarmen Windstöße abschirmte, Vorboten einer dunklen Sturmwolke, die sich vom Meer her näherte. Unbehaglich erschauerte Faith. Ob das drohende Gewitter oder die unmittelbar bevorstehende Begegnung mit Sean ihre Nerven strapazierte, wusste sie nicht. Beobachtete er sie in diesem Moment? Hier draußen würde er sie nicht erwarten – dafür war er zu dramatisch veranlagt – , aber möglicherweise verfolgte er alles über die Monitore der Überwachungskameras. Zweifellos würde er in helle Wut geraten, weil so viele Männer anstarrten, was ihm gehört hatte. Und was ihm wieder gehören würde.
Entschlossen ignorierte sie die widersprüchlichen Emotionen, die dieser Gedanke hervorrief, und folgte Don durch ein Labyrinth aus Metall.
Sie stiegen mehrere Treppenfluchten hinauf und Faith schickte dabei dem TAG-Spezialisten, der ihr zu Stiefeln statt High Heels geraten hatte, ein mentales Dankeswort. Andernfalls wären die gerillten Metallstufen ihr Untergang gewesen.
Unterwegs fielen ihr die Überwachungskameras und mehrere bewaffnete Männer auf. Was die normalen Bohrarbeiter wohl davon hielten, war ihr schleierhaft.
Vor der Tür zu einem Korridor verlangten zwei Männer ihren Ausweis, und sie gab ihnen ihren Reisepass und den britischen Führerschein. Dann bedeuteten sie ihr, einzutreten. Allein.
Auf dem Flur kam ihr ein Mann in Jeans und einer legeren Jacke entgegen. »Ich bin Giulio.« Sein italienischer Akzent erinnerte sie an ihre letzte Auftragsreise nach Italien, vor sechs Monaten. »Hier entlang, bitte.«
An der Seite ihres neuen Begleiters prägte sie sich den Weg genau ein, der zu einer Tür führte. Davor standen zwei Männer mit AK-47-Gewehren. Einer wandte sich zu ihr. »Miss Black, ich muss Sie bitten, die Arme zu heben und die Beine zu spreizen.«
»Natürlich.« Sie gehorchte, und der Mann ließ seine Hände über ihren Körper wandern. Zwischen ihren Schenkeln hielt er inne. Nichts an dieser Berührung wirkte sexuell oder persönlich. Genauso gut hätte der Mann eine Leiche untersuchen können.
Nachdem er seine Pflicht erfüllt hatte, griff er nach der Türklinke. Doch dann hielt er inne und berührte mit der Hand seinen Kopfhörer. Nach ein paar Sekunden schaute er Faith an. »Mr. Stowe nimmt gerade einen dringenden Anruf entgegen. Deshalb schlägt er Ihnen vor, sich erst einmal auf der Plattform umzusehen. Er kommt gleich.«
Faith lächelte. »Großartig, ich liebe es, eine neue Umgebung kennenzulernen.«
Außerdem würde sie die Plattform in ihrem Gehirn kartographieren. Dabei würde sie ein viel genaueres Bild erhalten, als es die schematischen Zeichnungen boten, die sie studiert hatte. Und die Galgenfrist vor dem Wiedersehen mit Sean würde ihr sicher nicht schaden.
WYATT MOCHTE SEAN STOWE NICHT. Er traute ihm nicht über den Weg. Genau genommen traute er fast niemandem, nur diesem Sean gegenüber erreichte sein Misstrauen eine neue Ebene. ACRO hatte herausgefunden, dass Sean Stowe ein ranghoher Itor-Agent war. Über welche speziellen Fähigkeiten er verfügte, blieb allerdings ein Geheimnis.
Nun, das spielte keine Rolle. An diesem Tag musste die Wettermaschine zerstört werden. Ohne Wenn und Aber. Wyatts Fluchtweg war kartographiert, seine Taucherausrüstung lag bereit. Obwohl er von ACRO nichts über den Code hörte, den
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