Geliebte des Schattens - Kenyon, S: Geliebte des Schattens - Seize the Night (Dark Hunter 07)
befolgt werden und die Identität der Dark Hunter unter Verschluss bleibt. Das bedeutet, sie sind bereit, alles dafür zu tun, was nötig ist, um dieses Geheimnis zu wahren. Auch Mord. Ich bin sicher, irgendwann in Ihrer Vergangenheit mussten auch Sie etwas Abscheuliches tun, um dem Schwur als Squire Folge zu leisten und Ihre Pflichten zu erfüllen. Als Sie das Geschichtsbuch über Valerius gelesen haben, kam Ihnen da jemals die Frage in den Sinn, ob er all das gern
getan hat? Oder vielleicht nur, weil es seine Aufgabe war?«
Otto legte den Kopf schief. »Hat Ihnen schon mal einer gesagt, dass Sie eine Karriere als Rechtsanwältin ins Auge fassen sollten?«
»Nur wenn Bill nichts dagegen hat. Außerdem bringe ich Blutsauger viel zu gern um, als dass ich selbst einer werden wollte.« Sie streckte ihm die Hand hin. »Tabitha Devereaux. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Sie spürte seine Verwirrung. Er zögerte einen Moment lang, ehe er sie ergriff.
»Keine Sorge, Otto«, fuhr sie lächelnd fort. »Ich bin ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Die meisten meiner Freunde haben einige Zeit gebraucht, bis sie auch nur meine Anwesenheit ertragen konnten. Ich bin wie Schimmel: Wenn ich erst mal da bin, wuchere ich ganz langsam über alles und jeden hinweg.«
»Das haben Sie gesagt, nicht ich.«
Sie tätschelte seinen Arm. »Tun Sie mir den Gefallen und seien Sie nett zu Val. Ich denke, an ihm ist mehr dran, als wir auf den ersten Blick erkennen können.«
»Sie sind weit und breit die Einzige, die das so sieht.«
»Tja, ich vertrete nun mal die Ansicht, dass wir Ausgestoßenen zusammenhalten müssen. Auf diese Weise sind wir wenigstens nicht allein auf der Welt.«
Er musterte sie verwirrt, doch ehe er etwas darauf erwidern konnte, läutete sein Handy.
Tabitha wandte sich ab und schlenderte in die Eingangshalle, um die eindrucksvollen Mosaikfliesen auf dem Fußboden zu bestaunen.
Erst in diesem Moment sah sie Valerius am unteren Treppenabsatz stehen - auf den ersten Blick würde er
ohne Weiteres als eine der Statuen durchgehen, die die Treppe flankierten, doch im Gegensatz zu ihnen bestand er aus Fleisch und Blut.
Valerius starrte Tabitha an, während die Worte in seinem Gedächtnis nachhallten. Soweit er sich erinnern konnte, hatte noch nie jemand Partei für ihn ergriffen. Nicht ein einziges Mal in den zweitausend Jahren seines Lebens und Todes.
Und selbst wenn es jemand getan hätte, bezweifelte er, dass es auf so eloquente Art und Weise geschehen wäre. Sie stand im Schatten der Tür, und ihr langes kastanienbraunes Haar umrahmte ihr offenes, ehrliches Gesicht.
Das Gesicht einer Frau, die sich nicht davor fürchtete, es mit allem und jedem aufzunehmen. Noch nie war er jemandem begegnet, der so mutig war.
»Danke«, sagte er leise.
»Du hast gehört, was ich gesagt habe?«
Er nickte kaum merklich.
»Wie viel?«
»Ziemlich viel.«
Mit einem Mal schien sie sich unbehaglich zu fühlen. »Du hättest dich bemerkbar machen sollen. Lauschen gehört sich nicht.«
»Ich weiß.«
Sie trat vor ihn.
Valerius trat von der untersten Stufe. Er sehnte sich danach, sie in die Arme zu nehmen und sie zu küssen, doch er konnte es nicht tun.
Sie war ein Mensch, er nicht. Das letzte Mal, als er sich Gefühle für eine Frau gestattet hatte, die nicht für ihn bestimmt gewesen war, hatte sie Schmerzen erdulden müssen, denen keine Frau auf der Welt ausgesetzt
sein sollte. Und er hatte seinen eigenen Tod damit heraufbeschworen.
Doch dieses Wissen hinderte seinen Körper nicht daran, Tabitha zu begehren; ebenso wenig verhinderte es den Stich in seinem Herzen, weil sie für ihn eingetreten war.
Ehe er sich beherrschen konnte, hob er die Hand und legte sie auf ihre vernarbte Wange.
Er war so lange allein gewesen. Auf sich gestellt. Verhasst.
Und diese Frau …
Sie füllte die Leere in seinem Innern, von der er längst vergessen hatte, dass sie existierte.
Tabithas Herz begann zu hämmern, als sie die Wärme an ihrer Wange spürte. Die Zärtlichkeit in seinen dunklen Augen, die Dankbarkeit, die sie tief in seinem Herzen erahnte … nein, er war nicht so, wie Otto glaubte.
Er war nicht kalt und gefühllos. Nicht hinterhältig und brutal. Wenn er es wäre, wüsste sie es, würde es spüren.
Nichts von all dem war da. Stattdessen spürte sie lediglich Einsamkeit und tiefen Schmerz in ihm.
Sie legte ihre Hand auf seine und lächelte ihn an.
Zu ihrer Verblüffung erwiderte er es. Es war das erste Mal, dass sie ein
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