Geliebte des Schattens - Kenyon, S: Geliebte des Schattens - Seize the Night (Dark Hunter 07)
sie durch die verwaisten Straßen, vorbei an den Schaufenstern der Juweliergeschäfte.
»Hey, Tabby, in letzter Zeit mal wieder ein paar Vampire kaltgemacht?«
Sie hob den Kopf und sah Richard Crenshaw auf sich zukommen. Er arbeitete als Kellner bei Mike Anderson’s Seafood, das nur ein paar Häuser von ihrem Laden entfernt war, und hatte die üble Angewohnheit, nach Ende seiner Schicht hereinzuschneien und sich an die Stripperinnen heranzumachen, die sich von ihr die Kostüme auf den Leib schneidern ließen.
Wie üblich lachte er über sie, doch das kümmerte sie nicht. Die meisten Leute hielten sie für eine durchgeknallte Irre. Selbst ihre eigene Familie hatte sie jahrelang ausgelacht, bis ihre Zwillingsschwester einen Dark Hunter geheiratet hatte und mit einem Vampir aneinandergeraten war, der sie um ein Haar getötet hätte.
Schlagartig hatte ihre Familie begriffen, dass ihre übernatürlichen Geschichten keine Hirngespinste oder verrückten Spinnereien waren.
»Klar«, erwiderte sie, »erst gestern Abend habe ich einen pulverisiert.«
Er verdrehte nur die Augen und schob sich lachend an ihr vorbei.
»Gern geschehen, Blödmann«, murmelte sie. Besagter Daimon hatte sich an der Hintertür des Restaurants herumgedrückt, durch die Richard jeden Abend herauskam, wenn er am Schichtende den Müll herausbrachte. Hätte
Tabitha den Daimon nicht getötet, wäre Richard aller Wahrscheinlichkeit nach längst tot.
Aber egal. Tatsächlich wollte sie seinen Dank nicht. Und erwarten konnte sie ihn erst recht nicht.
Sie ging weiter. Heute Abend war das Gefühl der Einsamkeit überwältigender als sonst. Wie sehr sie sich wünschte, ihr Leben unbeschwert führen zu können, ohne die ständige Gewissheit, was dort draußen vor sich ging.
Aber sie war nicht blind. Sie wusste Bescheid, und mit diesem Wissen stellte sich unweigerlich die Frage, ob sie den Leuten helfen oder sich lieber abwenden wollte. Doch Tabitha war noch nie ein Mensch gewesen, der andere im Stich ließ, wenn sie Hilfe brauchten. Manchmal jedoch war ihr Mitgefühl beinahe zu viel für sie. Es gab Tage, an denen sie den Schmerz anderer deutlicher spürte als ihren eigenen.
Genau das war der Grund gewesen, warum sie sich anfangs so stark zu Ash hingezogen gefühlt hatte. In den vergangenen drei Jahren hatte er ihr so manchen Kniff beigebracht, wie sie ihre Wahrnehmung für die Empfindungen anderer unterdrücken und sich stattdessen auf ihre eigenen konzentrieren konnte. Er war ein Geschenk des Himmels und hatte mehr zu ihrer inneren Unversehrtheit beigetragen als jeder andere Mensch auf der Welt. Doch heute Abend halfen nicht einmal seine Kniffe, sich vor den Gefühlen ihrer Umwelt zu verschließen.
Manchmal drohte sie all das zu überwältigen. Die Emotionen der Menschen um sie herum strömten mit einer solchen Wucht auf sie ein, dass sie ihre eigenen nicht länger unter Kontrolle hatte und stattdessen verbal
um sich schlug, um den gewaltigen Druck abzubauen.
Auch heute Abend war sie wieder einmal mutterseelenallein unterwegs und riskierte ihr Leben für die Leute, die sich über sie lustig machten.
Diese nächtlichen Kontrollgänge machten eindeutig mehr Spaß, wenn man sie gemeinsam mit Freunden unternahm.
Tabitha zwang sich, nicht an Trish und Alex zu denken, die beide in Erfüllung ihrer Pflicht gestorben waren. Doch es nützte nichts. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie die gezackte Narbe in ihrem Gesicht berührte, die sie Desiderius zu verdanken hatte. Desiderius, ein Daimon und Psychopath der allerschlimmsten Sorte, hatte es auf ihre Zwillingsschwester und ihren Schwager abgesehen. Zum Glück hatten Amanda und Kyrian den Angriff überlebt. Tabitha wünschte, sie selbst wäre in dieser Nacht umgekommen, anstelle ihrer beiden Freunde. Es war nicht richtig, dass sie einen so hohen Preis gezahlt hatten, nachdem Tabitha sie überredet hatte, ihr zu helfen.
O Gott, wieso hatte sie nicht einfach den Mund gehalten und sie ihr Leben weiterführen lassen, friedlich und ohne das Wissen, was dort draußen vor sich ging?
Deshalb kämpfte sie inzwischen alleine. Sie würde nie wieder jemanden bitten, sein Leben aufs Spiel zu setzen, indem er sie in ihrem Kampf unterstützte.
Die anderen hatten eine Wahl.
Sie nicht.
Tabitha verlangsamte ihre Schritte, als sie das vertraute Prickeln im Nacken verspürte.
Daimons …
Sie waren hinter ihr.
Sie drehte sich um, ging in die Hocke und tat so, als ziehe sie die Schnürsenkel ihrer Stiefel fester,
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