Geliebte Diebin
war es kalt bis tief in ihre Seele hinein.
»Seine Frau wird innerhalb einer Woche sterben«, orakelte Payton. Die Tische in der großen Halle waren gegen die Wände geschoben worden. Er schlug die behandschuhten Hände gegeneinander. »Und was die ungeborenen Babys von Mary betrifft...« Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte mitleidig den Kopf. »Es ist eine Schande.«
»Sie sind nicht einmal geboren, um Himmels willen. Mary hat bereits zwei überaus gelungene Söhne auf die Welt gebracht, also solltest du die Zwillinge nicht gleich in ihrem Grab sehen.« Sie weigerte sich, die Wahrheit in seinen Worten zu glauben. Mary mit ihrem leuchtend roten Haar und dem breiten Lächeln war eine kräftige, starke Frau. Die Zwillinge würden überleben. Irgendwie.
Aber sie konnte die gedrückte Stimmung des Schlosses mit seinen rissigen Mauern und dem Gebälk voller Staub und Spinnweben nicht ignorieren. Und wenn diese Babys sterben und auch noch andere Kinder, wer wird dafür verantwortlich sein?
Du, Apryll.
Ein Feuer brannte im Kamin. Dennoch war der riesige, höhlenartige Raum kalt, als hockte ein Geist hinter den zerschlissenen Vorhängen. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatten bunte Teppiche die geweißten Wände bedeckt, die Binsen auf dem Boden waren frisch und würzig gewesen und di e verlockenden Düfte aus der Küche hatten einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Apryll erinnerte sich an den wunderbaren Geruch von gebratenem Schweinefleisch, das sich am Spieß drehte, Fett, das in die Kohlen zischte, und an die süßen Schwaden der leckeren Obstkuchen oder den Beizgeruch von fachmännisch geräuchertem Aal. Diese köstlichen Düfte hatten sich miteinander vermischt und waren durch die Flure und die Tunnel gezogen, bis hinein in die große Halle. Sie hatten all die geheimen Winkel und Ecken erfüllt, in denen Apryll mit den Hunden des Schlosses oder mit anderen Kindern gespielt hatte. Aber das war lange Zeit her, in einer Zeit, in der es nie kalt gewesen war, in einer Zeit des Lachens, der Lieder und der Freiheit. In einer Zeit, als ihre Mutter noch gelebt hatte. Apryll war der Liebling ihres Vaters gewesen, ein verwöhntes Kind, dem es leicht gefallen war, vor dem Essen einen Leckerbissen von der Köchin zu erbetteln, ein Kind, das es geliebt hatte, im Heu, das für den Winter aufbewahrt wurde, Versteck zu spielen, oder das zu jedem Fest wie eine kleine Prinzessin gekleidet war. Sie hatte auf dem Knie ihres Vaters gesessen und ihn an seinem rötlichen Bart gezupft. Das alles war ewig her.
Ehe sich der Fluch von Black Thorn über uns gesenkt hat.
Sie schlang die Arme um sich und rieb sich über die Oberarme, um die Kälte zu vertreiben.
Payton hatte dieses Glück, glas sich wie ein Sonnenschein in der großen Halle verbreitet hatte, jedoch nie gekannt.
»Die Schatzkammer ist beinahe leer«, erinnerte er sie grob, während Apryll ihre Reithandschuhe auszog, das Loch in einem der Lederfinger ignorierte und die Handschuhe in ihre Rocktasche steckte. Sie warf die Kapuze nach hinten und wärmte sich dann die Hände am Feuer. Im Kamin türmte sich die Asche, die eisernen, mit Hundeköpfen verzierten Gitter, auf denen die brennenden Scheite lagen, schienen sie aus bösen, geschwärzten Augen anzustarren. »Die Vorräte an Futter sind so gering wie schon seit Jahren nicht mehr.«
Sie biss sich auf die Unterlippe und bereitete sich auf das vor, was jetzt kommen würde. Regelmäßig wenn Payton für das Schloss Düsternis und Verderben vorhergesagt hatte, kam er mit Vorschlägen, wie sich die Dinge verbessern ließen. Auch heute Nachmittag wurde sie nicht enttäuscht.
»Es ist ganz einfach, Apryll. Entweder du heiratest - und es muss eine gute Heirat sein - oder wir werden es über den Winter nicht schaffen. Deine Untertanen werden verhungern.«
»Ich werde nicht heiraten ...«
»Lord Jamison hat um deine Hand angehalten«, unterbrach er sie.
Sie erschauderte bei dem Gedanken an den Baron mit dem grausamen Blick. Er war genauso breit wie groß und hatte einen finsteren Charakter. Das hatte sie bei der Jagd festgestellt. Er war wütend gewesen, dass seine Beute, ein beeindruckender Hirsch, ihm entwischt war. Daraufhin hatte er einen Wutanfall bekommen und seine Hunde und sein Pferd derart ausgepeitscht, dass seine Augen Blitze geschleudert hatten und ihm der Speichel in widerlichen Rinnsalen aus den Mundwinkeln gelaufen war. »Er ist schon vier Mal verheiratet gewesen, Bruder. Keine seiner Frauen
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